Sternschnuppen verwirrter Zeitenläufte im eigenen Suppenteller
Vorgeschichte zum Artikel:
Im Frühsommer 1975 war ich als 18-jähriger für anderthalb Monate mein erstes, und soweit einziges Mal in meinem Leben, nach Finnland gekommen. Bevor meiner Reise in den hohen Norden hatte ich zufällig in Amsterdam Bekanntschaft machen können mit einer Gruppe von drei jugendlichen Finnen, die ihrerseits unterwegs als Rucksacktouristen waren, und die zunächst von Holland aus nach Nord-Italien noch eine Tour unternahmen, mir aber sehr freundlicherweise gleich ihre Heimatadressen mit auf den Weg nach Finnland gaben, und ein paar Wochen hernach mich dann bei sich zu hause auf ihren Dörfern im nördlichen Mittelteil des Landes zu Besuch bekamen. Ich hatte damals gerade jüngst mit dem autodidaktischen Studium der finnischen Sprache begonnen, sodaß es Tag für Tag mehr Spaß machte, meine neuen Kenntnisse in der schönen und eigenartigen Sprache an den Mann zu bringen, und ich vor allem dadurch auch viel einfacher Mädchen kennenlernte. Ich erinnere mich auch noch sehr gut daran, wie mir damals eines Tages der hilfsbereite Vater eines meiner finnischen Bekannten, auf einer heimatkundlichen Tour durch die Gegend im Lada, auf die er mich an einem Nachmittag einmal ausführte, versuchte zu erklären, daß deren vielleicht sonst eher etwas unbedeutender Landstrich, etwa 130 km südostlich von Oulu gelegen, zumindest eine landesweit berühmte Persönlichkeit hervorgebracht hat, und zwar den für seine Zeit (1905 - 1955) durchaus umstrittenen, da für die damaligen Verhältnisse im Vor- und Nachkriegs-Finnland ungewohnt sozialkritischen Schriftsteller Pentti Haanpää, der sich aber dann sogar international einen Namen machte, und heute, in viele Sprachen übersetzt, im Ausland einer der meistgelesenen modernen Finnen ist. Der Autor war kurz vor seinem 50. Geburtstag, nachdem er zwei Jahre davor noch auf einer offiziellen kulturellen Erkundungsfahrt durch China mit von der Partie war, während einer einwöchigen Zechtour mit seinem Schwager beim Fischen in einem Boot auf einem nahe der Hütte gelegenen See von einem Sturmwetter übermannt worden, und dabei tragisch ums Leben gekommen.
Einer meiner finnischen Reisebekanntschaften von damals, in demselben Ort lebend, aus dem auch Pentti Haanpää kam, aus Piippola, wo letzterer die meiste Zeit seines Lebens, wenn er nicht gerade auf Reisen war, verbrachte, ist heutzutage der Vorsitzende des örtlichen Pentti-Haanpää-Literatur- und Gedächtnisvereins.
(folgenden Artikel aus dem Jahre 2005 habe ich der Abteilung Lebensgeschichten der finnischen Zeitschrift Kult entnommen, und ins Deutsche übertragen)
Wild-wüste Bildersprache
Gedanken zu Pentti Haanpää, zur 100-Jahrfeier von dessen Geburtstag
(zugleich 50.Jahrestag der Beisetzung)
Eine Lebensgeschichte von Juha Hurme
Pentti Haanpää kam im Herbst 1968 liebevoll und trostspendend auf mich zu. Ich hatte mich im schmutzigen Glitsch des Oktobers mit den Jungens der Nachbarschaft geprügelt und von meiner Mutter strikte Anweisung erhalten, für den Rest des Abends innerhalb den vier Wänden zu bleiben. In einer andern Situation hätte ich auch nicht mehr hinaus wollen, aber ein Verbot ist immer etwas schmerzhaftes im Leben des Menschen, besonders als Neun-Jähriger, und die Ausgangssperre machte mir gnadenlos zu schaffen. Ich schlug die kleine Ewigkeit tot, indem ich lustlos im Lesebuch der Volksschule las, und ich fand die Erzählung Auf den Spuren des Müßigen (Joutavan jäljillä). Ich las dieselbe ganz durch, und dann gleich noch einmal.
Bis zu Weihnachten las ich die Geschichte über den Rundtrip nach Amerika des Seltengreust von Überm Hügel (Mäen Sampan meno-paluu Amerikkaan) bestimmt fünfzig Male. Das war etwas ganz anderes als die anderen angestaubten Geschichten im Lesebuch, gescheiter wie Quiz-Sendungen, lustiger und spannender wie Tarzan-Filme. Und dabei war eigentlich gar nichts besonderes darinnen vorgefallen.
Seltengreust, ein jüngerer Mann, macht sich gegen den Willen seiner Eltern nach Amerika auf, um reich zu werden, erschreckte am Gang der großen Welt und an der lausigen Grubenarbeit, und kehrte, so wie er gekommen war, wieder zum Ausgangspunkt, nach Hause, zurück, die letzten zweihundert Kilometer, ohne etwas zu essen, auf Schusters Rappen zurücklegend, da ihm das Geld ausgegangen war. Es hatte etwas besonderes an sich, auf welche Art und Weise die an und für sich in ihrer Einfältigkeit grobe Abwandlung auf den verschwenderischen Sohn da erzählt wird. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich mit der Schlagfertigkeit des Wortes zusammengeprallt.
Der Vorgang war so überwältigend, daß er zeitlebens eine Spur hinterließ. Ich konnte es begreifen, wie Wunderreuser von Hügeln sich fühlte. Leo, Dick, Pauli, Anne, Tim, Lord Greystoke und Numa, der Löwe, begannen dagegen zu erblassen und wirkten hohl. Ich fing auch an, den Seltengreust von Überm Hügel zu spielen.
Ich schaute im Lesebuch nach dem Namen des Schriftstellers: Pentti Haanpää. Ich fragte meinen Vater, ob denn dieser Pentti auch anderes geschrieben hätte. Vater meinte, ja, und riet mir, unter dem Buchstaben H in der Bücherei nachzusehen. Dort fand sich denn auch eine lange Reihe von Werken von Haanpää. Sicherheitshalber leihte ich mir fürs erste eine solche Anthologie aus, die auch Auf den Spuren des Müßigen enthielt. Ich begann, sie zu verschlingen, bei etlichen Geschichten wußte ich gar nicht, worum's ging, aber ich fand darunter Geschichten wie Schneefransen (Lumirimppa), der Mann mit dem Rucksack auf dem Buckel und das magere Pferd (Reppuselkäinen mies ja laiha hevonen), der Schlafsack (Makuusäkki) und Mittel des Lebens (Elämän keinot).
Von da ab begleitete mich Pentti Haanpää in enger Folge auf meinen Wegen, als Kamerad, als Berater und als Vorbild. Ich hatte es dabei nicht besonders eilig, da es in der Welt auch viel andere schöne Sachen zu lesen gibt außer Haanpää. Im Januar 2005 hatte ich nach guten 36 Jahren meiner Beschäftigung mit Haanpää die reiche Palette von dessen Werken in deren Gänze gelesen. Dem Schriftsteller selber war beim Schreiben von all diesem weniger Zeit dabei vergangen, gerade mal 30 Jahre.
In der Novelle Macht der Kunst zeigt Haanpää die Grundrisse für seine Begriffe von Kunst und Kunstpolitik mit einer belustigenden Schilderung eines jungen Knechts auf, der die unerbittlichen Arbeitstage draußen im Frost zu vermeiden weiß, indem er in der guten Stube die zu Interpretationen und Besprechungen von Kunst neigende Herrin auf dem Hof ein ums andere mal dazu verleitet, ihm ein Bilderbuch mit wilden Tieren zu zeigen. Wie die alten und gescheiten Greise in der Rahmen-Erzählung sagen, sei Kunst, von einem gewissen Blickwinkel aus betrachtet, ein nutzloses Herumfuhrwerken und etwas Unkultiviertes, in Anbetracht von dessen Energieverschwendung. Hilfsgelder für die Kunst wären hinausgeschmissene öffentliche Mittel.
Ein fauler junger Knecht und die abgedrehte Alte im Austragsstübchen eignen sich bei Haanpää zu besten Verfechtern der Kunst. Während sie die verrissene Bildersammlung mit den seltsamen Landschaften, in denen eigenartige und kräftige Raubtiere schwächere niedermachen, untersuchen, erfahren sie Momente des Aufatmens, einen stillen Genuß und eine erhabene Freude, wenn die Sonne der Kunst auf sie, die Einfachen der Welt, Wärme und Trost scheinen läßt und auch an einem schlechten Tag Hilfe reicht. Andererseits verursachen sie aber einen volkswirtschaftlichen Schaden: die Stube bleibt während den sich lange hindehnenden Morgenstunden unaufgeräumt und die Holzstämme im Wald unausgeästet.
Haanpää, ein während seiner ganzen Karriere sein eigenes Wirken als Schriftsteller in Zweifel ziehender Schaffender, will nicht zulassen, daß anstelle der Leser er Konflikte auflöste.
In der Geschichte Spielfeld, die die Einflüsse untersucht, welche die Köpfe, Herzen und Muskeln des Sports und anderer kultureller Betätigungen in Trab halten, leuchtet er aber die Dinge mit einem zusätzlichen Licht aus.
Wäre alles Eitle und Nutzlose aus dem Leben gestrichen, würde kaum mehr etwas davon übrig bleiben. Das Leben ist nicht zum Abzählen von Nummern da. Es kommt darauf an, zu leben.
Die Beschreibung des Schriftstellers von einem Baseball-Match ist erschütternd. Das Spielfeld hat Kampf und Kunst geboten. Es bot Grenzen und Regeln an, hatte unerschütterliche Konsequenzen und gnadenlose Verurteilungen. Es gab ihnen eine Stunde lang oder zwei einen Teamgeist. - - Es war dies eine Schaubühne von durchstoßenden Schlägen, übernatürlichen Abschlägen, großartigen Durchmärschen, Schlägen und abgetauschten Schlägen. Es gab Anlaß zu Handlungen, zu Vorhersagen und zu Kritiken. Es gab einen Gesprächstoff her. Es öffnete sich ein zweites, stattlicheres und glänzenderes Leben, von Kampf und Kunst. Jetzt aber kauert am Spielfeldrand eine Schar von alten, gescheiten Greisen, die auf dem Spielfeld die Zerstörung einer fetten Bodenerde sehen, ein immerwährendes Brachland, einen in Unordnung geratenen Acker, wo die erquicklichste Schaffenskraft ihre Energie Tag für Tag in vernunftwidrigen Umtrieben vergeudet: indem sie Runden dreht im Ring, umhersputet und Sachen durch die Lüfte schlägt. Oder Darstellungen über das Leben schreibt, anstatt, daß sie hinausgingen und lebten!
Haanpää bewegte sich mit seiner Kunst und seinen Zweifeln unter leidigen und ärgerlichen Themen. Es ist kein Zufall, daß die Kunst als solche in der Novelle Macht der Kunst eine Illustration von Gewalt wird, eigenartige Raubtiere, die über Schwächere hergefallen sind.
Haanpää erkennt die biologischen Wurzeln des Menschen an und schreibt auch überraschend viel über Tiere, tierhaftes Verhalten, über den Daseinskampf. Die moralische Einstellung des Schriftstellers läßt keine Bedingungen zu: ein Tier hält er immer in Ehren, einen Menschen läßt er klein erscheinen. Des Menschen Sich-Erniedrigen zum Mensch-Tier geschieht in etlichen tragischen Novellen mit wuchtiger Gewalt. Der Unteroffizier Schmatzdick (Puksu) löst alle seine Bestandteile, die ihn als Menschen kennzeichnen, in Alkohol auf, und übrig bleibt davon nur ein trübes Schwein (die Trunksucht).
Das In-Sich-Einstürzen und die einhergehende Verwandlung in ein rattenähnliches Wesen des Atomforschers Fulmar, des der Welt vielleicht intelligentesten Menschen, in der klinisch weißen Sterilität einer Gefängnis-Narrenanstalt ist ein wild-wüster Lesestoff.
Ein lebenslänglicher Gefangener ist das Objekt der Schilderung der vom 22-jährigen Haanpää bereits mit deftigen Überschriften angelegten Novelle Der Gefangene, welcher eine grimmge Abrechnung ist über das Leben eines Zirkusbären, von fortgesetzter Folter, erzwungener Gefangenschaft und unnatürlichen Bewegungen. Der Mensch als ein ökologischer Schädling, als Schänder der Natur, steht entblößt da und wird in einem brutalen Licht gezeigt. Es fällt schwer, sich da seine Unschuldigkeit zu bewahren, das dumpf die Stimmung anheizende, applaudierende Zirkuspublikum bedeutet für den Schriftsteller ein furchterregend weites Feld von einem maximalen Level an Missverständnissen und Brutalität. Auf der andern Seite ist die Novelle ein frühes Glied in einer langen Kette von Werken, in welchen Haanpää die Freiheitsberaubung in allen erdenklichen Kontexten untersucht.
Im Hexenkreis (Noitaympyrä) ist aus der ganzen Gesellschaft in Finnland für Matz Sietze (Pate Teikka) ein Käfig geworden, aus dem er nicht anders umhin kann, als in die Sowjetunion zu fliehen, in einen anderen schreckensgespenstigen Käfig hinein!
Die Novelle Deppke (Teppo) variiert das Thema Tierquälerei weiter, wobei sie von dem freudigen und ausgelassenen Leben eines finnischen Lang-Ohr-Dackels, deren Hauptfigur, erzählt, bis daß das sturköpfige Herrchen den getreuen Köter zu den nicht gerade noblen Kunststücken auffordert, auf den Hinterpfoten zu gehen und eine Pfeife zu rauchen. Auch Deppke wählt, genau wie Matz Sietze, die Flucht und den wahrscheinlichen Tod.
Ein bei Arbeiten für die Forstwirtschaft völlig ausgelaugtes Pferd steht im Brennpunkt von Haanpääs von der allgemeinweltlichen wirtschaftlichen Rezension der 1930er Jahre erzählenden 'Geschichten', welches das letztendliche leidtragende Glied ist, ein Knecht der eng zusammengepferchten, zutiefst stehenden Knechte des Kapitalismus, der Holzfäller. Ein aufgeklärter Fällertyp investiert den Verdienst aus seinen Arbeiten im Wald im Winter in der Erzählung Der Mann mit dem Rucksack auf dem Buckel und das magere Pferd (Reppuselkäinen mies ja laiha hevonen) für den zu Tode geschundenen alten Klepper, den er unmittelbar nach Abschluß des Handels erschießt. In einer an Unvernunft erkrankten Welt ist auch dieser Gnadenschuß in Frage zu stellen, vielleicht war dieser ja nur Theater, eine Selbstbestätigung?
Haanpää, der sowohl am Winterkrieg als auch an den Fortsetzungsgefechten teilgenommen hatte, änderte erstaunlich behende seine Ansichten und wandelte seine Erfahrungen in ein beißend scharfes Schrifttum (Krieg im Einödwald [Korpisotaa], Neuzeit [Nykyaikaa], Die Stiefel der neun Männer [Yhdeksän miehen saappaat], der Krieg des Abel Forst [Aapeli Metsän sotaa], Auf seinem eigenen Grab [Omalla haudallaan]), in dem er es wagt, den Krieg auch aus dem Blickwinkel des Tannenzapfen-Gardisten und des
Frontflüchtigen in Augenschein zu nehmen. Für Haanpää ist Krieg eine totale Katastrophe, in dem es keinen Raum für Helden gibt. Der seinen Grundsätzen loyale Schriftsteller sieht als ein größtes Schlachtopfer des Weltbrands ein von Ideologien und der Propaganda nichts ahnendes und von Granatensplittern hingestrecktes Kriegspferd.
Die schwersten Geschütze der Werke von Haanpää, des Sehers, über den Krieg, die eine Reservisteneinrichtung der Friedenszeit beschreibende Novellensammlung Das Feld und die Kaserne (Kenttä ja kasarmi; 1927) und Der Fall Feldwebel Ernte (Vääpeli Sadon tapaus; 1936) entstanden, als es nur noch ein paar Jahre hin waren bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs. In diesen analytischen Obduktionen zeigt der Schriftsteller, so daß man dagegen nichts einwenden könnte, das Kriegswesen als ein aus der Art geratenes Gefängnis auf, das die Menschen zu zu Gewalt konditionierten Zirkustieren umwandelt.
Die scharfzüngigen Werke schadeten Haanpääs Ruf als Schriftsteller und verursachten ihm beträchtliche Schwierigkeiten beim Finden eines Verlegers.
Es war Haanpää nicht entgangen, daß die Welt schon viel früher am Krieg erkrankt war, bevor dieser in Wirklichkeit zum Ausbruch kam. Die heimische Filmindustrie roch in Feldwebel Erntes straff gehaltener Handlungsablauferzählung und der sadomasochistischen Atmosphäre die Chance für einen Sensationsfilm, verlangte aber, daß die Ereignisse, wegen der Sensibilität des Themas, in einen nicht zu benennenden südamerikanischen Militärstaat verpflanzt würden. Der Film wurde jedoch, zum Glück, nie produziert.
Die am Vorabend der Winterfortsetzung des Kriegs geschriebene Novelle Der junge Narziß und der Krieg (Nuori Narkaus ja sota) bringen Krieg und Krankheit kaltblutig ruhig auf einen gemeinsamen Punkt. Narziß, ein Junge noch keine zwanzig Jahre alt, weiß, daß er an Tuberkolose sterben wird. Sein einziger Trost sind die Nachrichten von dem unausweichlich bevorstehenden weltweiten Krieg, welcher für ihn bedeutet, daß er Millionen Schicksalsgenossen in seinem Alter für die letzte Fahrt bekommen wird. Narziß setzt seine letzten Tage auf das Anschüren von Kriegsgeist und Militarismus, bis ihm das Blut die Lungen überschwemmt. Die Novelle ist ein pechschwarzes Kunstwerk über den Abfall eines Menschen.
Politischer Mord tritt auch an anderen Stellen als nur in Kriegsschilderungen in Haanpääs Schaffen auf.
Der Raport der Verelendung ländlicher Gegenden 'Die Bauern, die einen eigenen Hof haben, und die Schattenseiten der Bauern' (Isännät ja isäntien varjot) verzeichnt sorgfältig die durch die tiefe Rezension ausgelöste Schulden-Schraube und den Niedergang von Erbsen-Sepp (Jopi Herneinen), einem ursprünglich wohlhabenden Landeigentümer. Die Gesellschaft als ein Gefängnis, als ein "Hexenkreis", bringt den ernsten, alternden Herrn auf dem Hof dazu, auf die letztmögliche, spürbare Form von Gewalt auszuweichen, die Anwendung von Brutalität, um in einem Eifersuchtsanfall ein junges Weib, seine vormalige Geliebte, zu ermorden.
Der letzte Bissen, den es zu knabbern gibt, ist eine Fortführung des gleichen Themas im Maßstab einer Novelle auf einem Arbeitsplatz im Walde. Ausgehungert das Flößen des Treibholzes im Frühjahr abpassende Saison-Arbeiter sind so weit in eine Lage gebracht worden, daß die Idee des Menschlich-Seins weniger auf die Waage bringt als ein Stückchen von einem alten Hering. Des Stechmessers Klinge, ein reißender Zahn, drücken sich stumpf betäubt ins Fleisch ein, wenn der Mensch sich ohne Menschenrechte zu einem um Beute kämpfenden Raubtier zurückentwickelt hat.
In dem die Schauspielkunst und kriminelles Hereinlegen ironisch nebeneinanderstellenden Roman Der Schauspieler von der Etappenhöhe (Taivalvaaran näyttelijä) stellt Haanpää eine absolut eigenwillige, negative und fremdartige Kunsttheorie auf. Kunst sei eine Krankheit, eine Fiebererkrankung, welche die gefährlichen Gifte und Entzündungen aus dem Körper der Gesellschaft entfernt. Von Grund auf sei sie etwas Verbrecherisches und funktionierte als Reinigungswerk der Gemeinschaft, als ein schlaues Ausflußausscheide-Kanalnetzwerk, in welchem sich unbestimmbare Individualisten tummeln dürfen, ohne daß sie dem System schlimmeres an Störungen beibrächten. Der Gedanke erregt Unmut und kitzelt zugleich.
In der Novelle Die Geschichte der Waldkatze (Metsäkissan tarina) wird der Mensch zu einer nebensächlichen Figur heruntergespielt. Eine Hauskatze reißt, vom Instinkt angetrieben, in einen Wald hinein aus und verwandelt sich in ein Raubtier. Als der Winter sich überraschend einstellt, trifft sie ausgehungert auf einen zweiten Flüchtling der Menschenwelt, auf einen Bock. Dieser hat sich in einem Heuschober verschanzt, den er aus den Waldwiesen zusammengetragen hat, und in den hinein er sich eine Höhle gefressen hat. Die Katze reißt den männlichen Bock zu Tode und übernimmt die Burg aus Heu samt deren Fleisch-Vorrat. Ein Hühnerhabicht wittert das Lebend- und das tiefgefrorene Fleisch von großer Beute und fällt über die Katze her. Das Gemetzel endet unentschieden, beide verenden. Die aufgerissenen, vom Schnee halb verdeckten Schultern des Bockes scheinen sich vor verhaltenem Lachen halten zu müssen. Die ironischen Wortwendungen am Schluß der Novelle betonen nur deren lauteres Motiv. In dem wirklichkeitsgetreuen Tiermärchen für Erwachsene kommt keine moralisch aufzuarbeitende Handlung vor. Der Mensch einzig ist grausam. Und der Rundgang setzt sich fort: ein Rabe kräht in den Lüften hoch darüber, und ein Fuchs hebt sein in der Umgebung witterndes Schnäuzchen hoch.
Dieses Essay soll mit einer Lese-Empfehlung enden. In der Novelle Tragik des Ödlands (Erämaan tragiikkaa) läßt Haanpää eine Krähe aus dem Süden Finnlands das Nest eines Tundra-Habichts am Strand des Polarmeers ausrauben. Der große Schlichter - Tod - entscheidet den Kampf mit einem Spiel-Gleichstand für beide der Verendeten. Die Novelle ist ein Meisterwerk, Weltliteratur.
Aber was will uns dessen Schreiber sagen? Ich ziehe mich aus der Erklärungsverantwortung, denn ich weiß es nicht, oder wenigstens kann ich die Erklärung nicht zu Sätzen formulieren, ohne daß ich das Eigengewicht des Werks verringern würde.
Lesen Sie es selbst!
Das eine nationale Ereignis der 100-Jahrfeier von Pentti Haanpää "Die Rückkehr des Jungen" wurde in Piippola vom 31.6. - 11.7.2005 veranstaltet. Auf dem Festival waren drei auf Werke von Haanpää aufbauende Theateruraufführungen zu sehen, die mit vereinter Profi- und Amateur-Kraft realisiert wurden. Juha Hurme dramatisierte und leitete den Roman Der Schauspieler von der Etappenhöhe (Taivalvaaran näyttelijä) und eine aus acht Novellen zusammengestellte Serie von Kurz-Aufführungen. Jouni Rissanen dramatisierte und leitete die extensive Novelle Auf seinem eigenen Grab (Omalla haudallaan). Die herumziehende professionelle Gruppe Nachtgäste-Theater (Yövieraat-teatteri) realisierte im Jahre 1994 unter Leitung von Juha Hurme den Erstlingsroman von Pentti Haanpää "Die Geschichte von drei Quasselköpfen (Kolmen Töräpään tarina)".
Im Frühsommer 1975 war ich als 18-jähriger für anderthalb Monate mein erstes, und soweit einziges Mal in meinem Leben, nach Finnland gekommen. Bevor meiner Reise in den hohen Norden hatte ich zufällig in Amsterdam Bekanntschaft machen können mit einer Gruppe von drei jugendlichen Finnen, die ihrerseits unterwegs als Rucksacktouristen waren, und die zunächst von Holland aus nach Nord-Italien noch eine Tour unternahmen, mir aber sehr freundlicherweise gleich ihre Heimatadressen mit auf den Weg nach Finnland gaben, und ein paar Wochen hernach mich dann bei sich zu hause auf ihren Dörfern im nördlichen Mittelteil des Landes zu Besuch bekamen. Ich hatte damals gerade jüngst mit dem autodidaktischen Studium der finnischen Sprache begonnen, sodaß es Tag für Tag mehr Spaß machte, meine neuen Kenntnisse in der schönen und eigenartigen Sprache an den Mann zu bringen, und ich vor allem dadurch auch viel einfacher Mädchen kennenlernte. Ich erinnere mich auch noch sehr gut daran, wie mir damals eines Tages der hilfsbereite Vater eines meiner finnischen Bekannten, auf einer heimatkundlichen Tour durch die Gegend im Lada, auf die er mich an einem Nachmittag einmal ausführte, versuchte zu erklären, daß deren vielleicht sonst eher etwas unbedeutender Landstrich, etwa 130 km südostlich von Oulu gelegen, zumindest eine landesweit berühmte Persönlichkeit hervorgebracht hat, und zwar den für seine Zeit (1905 - 1955) durchaus umstrittenen, da für die damaligen Verhältnisse im Vor- und Nachkriegs-Finnland ungewohnt sozialkritischen Schriftsteller Pentti Haanpää, der sich aber dann sogar international einen Namen machte, und heute, in viele Sprachen übersetzt, im Ausland einer der meistgelesenen modernen Finnen ist. Der Autor war kurz vor seinem 50. Geburtstag, nachdem er zwei Jahre davor noch auf einer offiziellen kulturellen Erkundungsfahrt durch China mit von der Partie war, während einer einwöchigen Zechtour mit seinem Schwager beim Fischen in einem Boot auf einem nahe der Hütte gelegenen See von einem Sturmwetter übermannt worden, und dabei tragisch ums Leben gekommen.
Einer meiner finnischen Reisebekanntschaften von damals, in demselben Ort lebend, aus dem auch Pentti Haanpää kam, aus Piippola, wo letzterer die meiste Zeit seines Lebens, wenn er nicht gerade auf Reisen war, verbrachte, ist heutzutage der Vorsitzende des örtlichen Pentti-Haanpää-Literatur- und Gedächtnisvereins.
(folgenden Artikel aus dem Jahre 2005 habe ich der Abteilung Lebensgeschichten der finnischen Zeitschrift Kult entnommen, und ins Deutsche übertragen)
Wild-wüste Bildersprache
Gedanken zu Pentti Haanpää, zur 100-Jahrfeier von dessen Geburtstag
(zugleich 50.Jahrestag der Beisetzung)
Eine Lebensgeschichte von Juha Hurme
Pentti Haanpää kam im Herbst 1968 liebevoll und trostspendend auf mich zu. Ich hatte mich im schmutzigen Glitsch des Oktobers mit den Jungens der Nachbarschaft geprügelt und von meiner Mutter strikte Anweisung erhalten, für den Rest des Abends innerhalb den vier Wänden zu bleiben. In einer andern Situation hätte ich auch nicht mehr hinaus wollen, aber ein Verbot ist immer etwas schmerzhaftes im Leben des Menschen, besonders als Neun-Jähriger, und die Ausgangssperre machte mir gnadenlos zu schaffen. Ich schlug die kleine Ewigkeit tot, indem ich lustlos im Lesebuch der Volksschule las, und ich fand die Erzählung Auf den Spuren des Müßigen (Joutavan jäljillä). Ich las dieselbe ganz durch, und dann gleich noch einmal.
Bis zu Weihnachten las ich die Geschichte über den Rundtrip nach Amerika des Seltengreust von Überm Hügel (Mäen Sampan meno-paluu Amerikkaan) bestimmt fünfzig Male. Das war etwas ganz anderes als die anderen angestaubten Geschichten im Lesebuch, gescheiter wie Quiz-Sendungen, lustiger und spannender wie Tarzan-Filme. Und dabei war eigentlich gar nichts besonderes darinnen vorgefallen.
Seltengreust, ein jüngerer Mann, macht sich gegen den Willen seiner Eltern nach Amerika auf, um reich zu werden, erschreckte am Gang der großen Welt und an der lausigen Grubenarbeit, und kehrte, so wie er gekommen war, wieder zum Ausgangspunkt, nach Hause, zurück, die letzten zweihundert Kilometer, ohne etwas zu essen, auf Schusters Rappen zurücklegend, da ihm das Geld ausgegangen war. Es hatte etwas besonderes an sich, auf welche Art und Weise die an und für sich in ihrer Einfältigkeit grobe Abwandlung auf den verschwenderischen Sohn da erzählt wird. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich mit der Schlagfertigkeit des Wortes zusammengeprallt.
Der Vorgang war so überwältigend, daß er zeitlebens eine Spur hinterließ. Ich konnte es begreifen, wie Wunderreuser von Hügeln sich fühlte. Leo, Dick, Pauli, Anne, Tim, Lord Greystoke und Numa, der Löwe, begannen dagegen zu erblassen und wirkten hohl. Ich fing auch an, den Seltengreust von Überm Hügel zu spielen.
Ich schaute im Lesebuch nach dem Namen des Schriftstellers: Pentti Haanpää. Ich fragte meinen Vater, ob denn dieser Pentti auch anderes geschrieben hätte. Vater meinte, ja, und riet mir, unter dem Buchstaben H in der Bücherei nachzusehen. Dort fand sich denn auch eine lange Reihe von Werken von Haanpää. Sicherheitshalber leihte ich mir fürs erste eine solche Anthologie aus, die auch Auf den Spuren des Müßigen enthielt. Ich begann, sie zu verschlingen, bei etlichen Geschichten wußte ich gar nicht, worum's ging, aber ich fand darunter Geschichten wie Schneefransen (Lumirimppa), der Mann mit dem Rucksack auf dem Buckel und das magere Pferd (Reppuselkäinen mies ja laiha hevonen), der Schlafsack (Makuusäkki) und Mittel des Lebens (Elämän keinot).
Von da ab begleitete mich Pentti Haanpää in enger Folge auf meinen Wegen, als Kamerad, als Berater und als Vorbild. Ich hatte es dabei nicht besonders eilig, da es in der Welt auch viel andere schöne Sachen zu lesen gibt außer Haanpää. Im Januar 2005 hatte ich nach guten 36 Jahren meiner Beschäftigung mit Haanpää die reiche Palette von dessen Werken in deren Gänze gelesen. Dem Schriftsteller selber war beim Schreiben von all diesem weniger Zeit dabei vergangen, gerade mal 30 Jahre.
In der Novelle Macht der Kunst zeigt Haanpää die Grundrisse für seine Begriffe von Kunst und Kunstpolitik mit einer belustigenden Schilderung eines jungen Knechts auf, der die unerbittlichen Arbeitstage draußen im Frost zu vermeiden weiß, indem er in der guten Stube die zu Interpretationen und Besprechungen von Kunst neigende Herrin auf dem Hof ein ums andere mal dazu verleitet, ihm ein Bilderbuch mit wilden Tieren zu zeigen. Wie die alten und gescheiten Greise in der Rahmen-Erzählung sagen, sei Kunst, von einem gewissen Blickwinkel aus betrachtet, ein nutzloses Herumfuhrwerken und etwas Unkultiviertes, in Anbetracht von dessen Energieverschwendung. Hilfsgelder für die Kunst wären hinausgeschmissene öffentliche Mittel.
Ein fauler junger Knecht und die abgedrehte Alte im Austragsstübchen eignen sich bei Haanpää zu besten Verfechtern der Kunst. Während sie die verrissene Bildersammlung mit den seltsamen Landschaften, in denen eigenartige und kräftige Raubtiere schwächere niedermachen, untersuchen, erfahren sie Momente des Aufatmens, einen stillen Genuß und eine erhabene Freude, wenn die Sonne der Kunst auf sie, die Einfachen der Welt, Wärme und Trost scheinen läßt und auch an einem schlechten Tag Hilfe reicht. Andererseits verursachen sie aber einen volkswirtschaftlichen Schaden: die Stube bleibt während den sich lange hindehnenden Morgenstunden unaufgeräumt und die Holzstämme im Wald unausgeästet.
Haanpää, ein während seiner ganzen Karriere sein eigenes Wirken als Schriftsteller in Zweifel ziehender Schaffender, will nicht zulassen, daß anstelle der Leser er Konflikte auflöste.
In der Geschichte Spielfeld, die die Einflüsse untersucht, welche die Köpfe, Herzen und Muskeln des Sports und anderer kultureller Betätigungen in Trab halten, leuchtet er aber die Dinge mit einem zusätzlichen Licht aus.
Wäre alles Eitle und Nutzlose aus dem Leben gestrichen, würde kaum mehr etwas davon übrig bleiben. Das Leben ist nicht zum Abzählen von Nummern da. Es kommt darauf an, zu leben.
Die Beschreibung des Schriftstellers von einem Baseball-Match ist erschütternd. Das Spielfeld hat Kampf und Kunst geboten. Es bot Grenzen und Regeln an, hatte unerschütterliche Konsequenzen und gnadenlose Verurteilungen. Es gab ihnen eine Stunde lang oder zwei einen Teamgeist. - - Es war dies eine Schaubühne von durchstoßenden Schlägen, übernatürlichen Abschlägen, großartigen Durchmärschen, Schlägen und abgetauschten Schlägen. Es gab Anlaß zu Handlungen, zu Vorhersagen und zu Kritiken. Es gab einen Gesprächstoff her. Es öffnete sich ein zweites, stattlicheres und glänzenderes Leben, von Kampf und Kunst. Jetzt aber kauert am Spielfeldrand eine Schar von alten, gescheiten Greisen, die auf dem Spielfeld die Zerstörung einer fetten Bodenerde sehen, ein immerwährendes Brachland, einen in Unordnung geratenen Acker, wo die erquicklichste Schaffenskraft ihre Energie Tag für Tag in vernunftwidrigen Umtrieben vergeudet: indem sie Runden dreht im Ring, umhersputet und Sachen durch die Lüfte schlägt. Oder Darstellungen über das Leben schreibt, anstatt, daß sie hinausgingen und lebten!
Haanpää bewegte sich mit seiner Kunst und seinen Zweifeln unter leidigen und ärgerlichen Themen. Es ist kein Zufall, daß die Kunst als solche in der Novelle Macht der Kunst eine Illustration von Gewalt wird, eigenartige Raubtiere, die über Schwächere hergefallen sind.
Haanpää erkennt die biologischen Wurzeln des Menschen an und schreibt auch überraschend viel über Tiere, tierhaftes Verhalten, über den Daseinskampf. Die moralische Einstellung des Schriftstellers läßt keine Bedingungen zu: ein Tier hält er immer in Ehren, einen Menschen läßt er klein erscheinen. Des Menschen Sich-Erniedrigen zum Mensch-Tier geschieht in etlichen tragischen Novellen mit wuchtiger Gewalt. Der Unteroffizier Schmatzdick (Puksu) löst alle seine Bestandteile, die ihn als Menschen kennzeichnen, in Alkohol auf, und übrig bleibt davon nur ein trübes Schwein (die Trunksucht).
Das In-Sich-Einstürzen und die einhergehende Verwandlung in ein rattenähnliches Wesen des Atomforschers Fulmar, des der Welt vielleicht intelligentesten Menschen, in der klinisch weißen Sterilität einer Gefängnis-Narrenanstalt ist ein wild-wüster Lesestoff.
Ein lebenslänglicher Gefangener ist das Objekt der Schilderung der vom 22-jährigen Haanpää bereits mit deftigen Überschriften angelegten Novelle Der Gefangene, welcher eine grimmge Abrechnung ist über das Leben eines Zirkusbären, von fortgesetzter Folter, erzwungener Gefangenschaft und unnatürlichen Bewegungen. Der Mensch als ein ökologischer Schädling, als Schänder der Natur, steht entblößt da und wird in einem brutalen Licht gezeigt. Es fällt schwer, sich da seine Unschuldigkeit zu bewahren, das dumpf die Stimmung anheizende, applaudierende Zirkuspublikum bedeutet für den Schriftsteller ein furchterregend weites Feld von einem maximalen Level an Missverständnissen und Brutalität. Auf der andern Seite ist die Novelle ein frühes Glied in einer langen Kette von Werken, in welchen Haanpää die Freiheitsberaubung in allen erdenklichen Kontexten untersucht.
Im Hexenkreis (Noitaympyrä) ist aus der ganzen Gesellschaft in Finnland für Matz Sietze (Pate Teikka) ein Käfig geworden, aus dem er nicht anders umhin kann, als in die Sowjetunion zu fliehen, in einen anderen schreckensgespenstigen Käfig hinein!
Die Novelle Deppke (Teppo) variiert das Thema Tierquälerei weiter, wobei sie von dem freudigen und ausgelassenen Leben eines finnischen Lang-Ohr-Dackels, deren Hauptfigur, erzählt, bis daß das sturköpfige Herrchen den getreuen Köter zu den nicht gerade noblen Kunststücken auffordert, auf den Hinterpfoten zu gehen und eine Pfeife zu rauchen. Auch Deppke wählt, genau wie Matz Sietze, die Flucht und den wahrscheinlichen Tod.
Ein bei Arbeiten für die Forstwirtschaft völlig ausgelaugtes Pferd steht im Brennpunkt von Haanpääs von der allgemeinweltlichen wirtschaftlichen Rezension der 1930er Jahre erzählenden 'Geschichten', welches das letztendliche leidtragende Glied ist, ein Knecht der eng zusammengepferchten, zutiefst stehenden Knechte des Kapitalismus, der Holzfäller. Ein aufgeklärter Fällertyp investiert den Verdienst aus seinen Arbeiten im Wald im Winter in der Erzählung Der Mann mit dem Rucksack auf dem Buckel und das magere Pferd (Reppuselkäinen mies ja laiha hevonen) für den zu Tode geschundenen alten Klepper, den er unmittelbar nach Abschluß des Handels erschießt. In einer an Unvernunft erkrankten Welt ist auch dieser Gnadenschuß in Frage zu stellen, vielleicht war dieser ja nur Theater, eine Selbstbestätigung?
Haanpää, der sowohl am Winterkrieg als auch an den Fortsetzungsgefechten teilgenommen hatte, änderte erstaunlich behende seine Ansichten und wandelte seine Erfahrungen in ein beißend scharfes Schrifttum (Krieg im Einödwald [Korpisotaa], Neuzeit [Nykyaikaa], Die Stiefel der neun Männer [Yhdeksän miehen saappaat], der Krieg des Abel Forst [Aapeli Metsän sotaa], Auf seinem eigenen Grab [Omalla haudallaan]), in dem er es wagt, den Krieg auch aus dem Blickwinkel des Tannenzapfen-Gardisten und des
Frontflüchtigen in Augenschein zu nehmen. Für Haanpää ist Krieg eine totale Katastrophe, in dem es keinen Raum für Helden gibt. Der seinen Grundsätzen loyale Schriftsteller sieht als ein größtes Schlachtopfer des Weltbrands ein von Ideologien und der Propaganda nichts ahnendes und von Granatensplittern hingestrecktes Kriegspferd.
Die schwersten Geschütze der Werke von Haanpää, des Sehers, über den Krieg, die eine Reservisteneinrichtung der Friedenszeit beschreibende Novellensammlung Das Feld und die Kaserne (Kenttä ja kasarmi; 1927) und Der Fall Feldwebel Ernte (Vääpeli Sadon tapaus; 1936) entstanden, als es nur noch ein paar Jahre hin waren bis zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs. In diesen analytischen Obduktionen zeigt der Schriftsteller, so daß man dagegen nichts einwenden könnte, das Kriegswesen als ein aus der Art geratenes Gefängnis auf, das die Menschen zu zu Gewalt konditionierten Zirkustieren umwandelt.
Die scharfzüngigen Werke schadeten Haanpääs Ruf als Schriftsteller und verursachten ihm beträchtliche Schwierigkeiten beim Finden eines Verlegers.
Es war Haanpää nicht entgangen, daß die Welt schon viel früher am Krieg erkrankt war, bevor dieser in Wirklichkeit zum Ausbruch kam. Die heimische Filmindustrie roch in Feldwebel Erntes straff gehaltener Handlungsablauferzählung und der sadomasochistischen Atmosphäre die Chance für einen Sensationsfilm, verlangte aber, daß die Ereignisse, wegen der Sensibilität des Themas, in einen nicht zu benennenden südamerikanischen Militärstaat verpflanzt würden. Der Film wurde jedoch, zum Glück, nie produziert.
Die am Vorabend der Winterfortsetzung des Kriegs geschriebene Novelle Der junge Narziß und der Krieg (Nuori Narkaus ja sota) bringen Krieg und Krankheit kaltblutig ruhig auf einen gemeinsamen Punkt. Narziß, ein Junge noch keine zwanzig Jahre alt, weiß, daß er an Tuberkolose sterben wird. Sein einziger Trost sind die Nachrichten von dem unausweichlich bevorstehenden weltweiten Krieg, welcher für ihn bedeutet, daß er Millionen Schicksalsgenossen in seinem Alter für die letzte Fahrt bekommen wird. Narziß setzt seine letzten Tage auf das Anschüren von Kriegsgeist und Militarismus, bis ihm das Blut die Lungen überschwemmt. Die Novelle ist ein pechschwarzes Kunstwerk über den Abfall eines Menschen.
Politischer Mord tritt auch an anderen Stellen als nur in Kriegsschilderungen in Haanpääs Schaffen auf.
Der Raport der Verelendung ländlicher Gegenden 'Die Bauern, die einen eigenen Hof haben, und die Schattenseiten der Bauern' (Isännät ja isäntien varjot) verzeichnt sorgfältig die durch die tiefe Rezension ausgelöste Schulden-Schraube und den Niedergang von Erbsen-Sepp (Jopi Herneinen), einem ursprünglich wohlhabenden Landeigentümer. Die Gesellschaft als ein Gefängnis, als ein "Hexenkreis", bringt den ernsten, alternden Herrn auf dem Hof dazu, auf die letztmögliche, spürbare Form von Gewalt auszuweichen, die Anwendung von Brutalität, um in einem Eifersuchtsanfall ein junges Weib, seine vormalige Geliebte, zu ermorden.
Der letzte Bissen, den es zu knabbern gibt, ist eine Fortführung des gleichen Themas im Maßstab einer Novelle auf einem Arbeitsplatz im Walde. Ausgehungert das Flößen des Treibholzes im Frühjahr abpassende Saison-Arbeiter sind so weit in eine Lage gebracht worden, daß die Idee des Menschlich-Seins weniger auf die Waage bringt als ein Stückchen von einem alten Hering. Des Stechmessers Klinge, ein reißender Zahn, drücken sich stumpf betäubt ins Fleisch ein, wenn der Mensch sich ohne Menschenrechte zu einem um Beute kämpfenden Raubtier zurückentwickelt hat.
In dem die Schauspielkunst und kriminelles Hereinlegen ironisch nebeneinanderstellenden Roman Der Schauspieler von der Etappenhöhe (Taivalvaaran näyttelijä) stellt Haanpää eine absolut eigenwillige, negative und fremdartige Kunsttheorie auf. Kunst sei eine Krankheit, eine Fiebererkrankung, welche die gefährlichen Gifte und Entzündungen aus dem Körper der Gesellschaft entfernt. Von Grund auf sei sie etwas Verbrecherisches und funktionierte als Reinigungswerk der Gemeinschaft, als ein schlaues Ausflußausscheide-Kanalnetzwerk, in welchem sich unbestimmbare Individualisten tummeln dürfen, ohne daß sie dem System schlimmeres an Störungen beibrächten. Der Gedanke erregt Unmut und kitzelt zugleich.
In der Novelle Die Geschichte der Waldkatze (Metsäkissan tarina) wird der Mensch zu einer nebensächlichen Figur heruntergespielt. Eine Hauskatze reißt, vom Instinkt angetrieben, in einen Wald hinein aus und verwandelt sich in ein Raubtier. Als der Winter sich überraschend einstellt, trifft sie ausgehungert auf einen zweiten Flüchtling der Menschenwelt, auf einen Bock. Dieser hat sich in einem Heuschober verschanzt, den er aus den Waldwiesen zusammengetragen hat, und in den hinein er sich eine Höhle gefressen hat. Die Katze reißt den männlichen Bock zu Tode und übernimmt die Burg aus Heu samt deren Fleisch-Vorrat. Ein Hühnerhabicht wittert das Lebend- und das tiefgefrorene Fleisch von großer Beute und fällt über die Katze her. Das Gemetzel endet unentschieden, beide verenden. Die aufgerissenen, vom Schnee halb verdeckten Schultern des Bockes scheinen sich vor verhaltenem Lachen halten zu müssen. Die ironischen Wortwendungen am Schluß der Novelle betonen nur deren lauteres Motiv. In dem wirklichkeitsgetreuen Tiermärchen für Erwachsene kommt keine moralisch aufzuarbeitende Handlung vor. Der Mensch einzig ist grausam. Und der Rundgang setzt sich fort: ein Rabe kräht in den Lüften hoch darüber, und ein Fuchs hebt sein in der Umgebung witterndes Schnäuzchen hoch.
Dieses Essay soll mit einer Lese-Empfehlung enden. In der Novelle Tragik des Ödlands (Erämaan tragiikkaa) läßt Haanpää eine Krähe aus dem Süden Finnlands das Nest eines Tundra-Habichts am Strand des Polarmeers ausrauben. Der große Schlichter - Tod - entscheidet den Kampf mit einem Spiel-Gleichstand für beide der Verendeten. Die Novelle ist ein Meisterwerk, Weltliteratur.
Aber was will uns dessen Schreiber sagen? Ich ziehe mich aus der Erklärungsverantwortung, denn ich weiß es nicht, oder wenigstens kann ich die Erklärung nicht zu Sätzen formulieren, ohne daß ich das Eigengewicht des Werks verringern würde.
Lesen Sie es selbst!
Das eine nationale Ereignis der 100-Jahrfeier von Pentti Haanpää "Die Rückkehr des Jungen" wurde in Piippola vom 31.6. - 11.7.2005 veranstaltet. Auf dem Festival waren drei auf Werke von Haanpää aufbauende Theateruraufführungen zu sehen, die mit vereinter Profi- und Amateur-Kraft realisiert wurden. Juha Hurme dramatisierte und leitete den Roman Der Schauspieler von der Etappenhöhe (Taivalvaaran näyttelijä) und eine aus acht Novellen zusammengestellte Serie von Kurz-Aufführungen. Jouni Rissanen dramatisierte und leitete die extensive Novelle Auf seinem eigenen Grab (Omalla haudallaan). Die herumziehende professionelle Gruppe Nachtgäste-Theater (Yövieraat-teatteri) realisierte im Jahre 1994 unter Leitung von Juha Hurme den Erstlingsroman von Pentti Haanpää "Die Geschichte von drei Quasselköpfen (Kolmen Töräpään tarina)".
libidopter - 3. Okt, 12:53