22
Aug
2009

Vollidiot

Er war ein Vollidiot!
Ein absoluter Banause!
Reiner Malochertyp!
Hatte keinen Sinn für Stil gehabt!

Keiner würde es glauben können,
daß es so eine Gefühlsduselei überhaupt geben kann,
wolltest du alles darüber erzählen,
was du mit dem Kaspar durchgemacht hast.

Die Gattin hatte der Klatschpresse lebhaft aus ihrem Leben mit dem Vogel berichtet.
Was war er für einer? Ein großer Held?

Ein unkenntliches Spiegelbild starrte aus einem zerbrochenen Spiegel zurück.

Bist du an deinem Leben links vorbeigezogen?
Sind alle besten Jahre vor länger Zeit bereits den Bach hinuntergegangen?

21
Aug
2009

Der Sandwüste Augen

Geheimnisvoll sind die in bunte Farben getauchten Augen der Sandwüste.
Das Licht bringt der Wüste etwas Unheimliches ein,
eigenartige mystische Stimmungen lassen die Bewegungen des Sonnenlichts aufkommen.

Des Morgens ist die Wüste blaßweiß, gekräuselt und aufgeschäumt vom Wind.
Es steigt die Sonne auf, die Schatten verleihen der Wüste einen Blaustich,
die tiefsten Abgründe sind noch in Dunkel gehüllt.

Tagsüber scheint der Sand gelblich auf,
Hitze durchwalkt die Bodenoberfläche,
in den Sandkörnern glänzt Silber und Gold,
gleichsam sinnlich erfassen läßt sich das Feuer vergangener Tage.

Nachmittags vertieft sich das Farbspiel,
zu einem ausgebrannten Orange,
terrakottafarben - die Witterung entscheidet über den Farbton.
Kommt es dann zum gewaltigen Sturm,
sticht aus den Farbschattierungen nur noch das Grau hervor.

Des Abends verzieht sich das Rot der Sonne,
die Schatten legen sich tief, es leuchtet bläulich.
Die Wüste entschwindet ins dumpf Düstere,
in die Dunkelheit, in jenen mystischen Aspekt.

20
Aug
2009

Namenlose chinesische Straße

Straße aus Stein
ohne Namen
Enge Gassendurchfahrt
Mißgelaunter Mensch, in die Jahre gekommen.

Fahrrad gegen eine Tür gelehnt
Vielzahl von Einkerbungen
Verrissener Spüllappen am Trocknen
Vertracktes Vorhängeschloß.

Draußen ein verdreckter Anrichtetisch
Ein durch die Straße abgerichteter Köter
Ein Markt den Gassenrand entlang
In der Hand einer Frau ein Korb.

Kontinuierliches Gewimmel
Geklingel einer Fahrradglocke
Schmales Terrain
Ein Stück Eigenes.

Verkaufsstand
Warenhaufen
Ungewaschener Knirps
Gerümpel.

Gewühl des sich durchs Leben Schlagens
Dahinrauschen eines Redeflusses
Lärm
Kaputtes Spielzeug.

Bewegen sich vorwärts
Autos verschließen die Bahn
stoßen noch vorne
Räume verstopfen.

Ein Kind
auf dem Schoß zweie
Die Brust einer Nährmutter
Der Preis eines anderen Kindes?

Stapel von Kohle
Betagte Ziegelsteine
Dachbleche
rücken nicht von der Latte.

Hühnerkäfig
Alte Steppdecke
als Abdeckung
Müll als Streusal.

Spielplatz
Ein Ball oder
ein chinesisches Schach
Schildmütze und Mao-Jacke.

Interieur einer Straße
Menschen im Chor
Herde einer Geruchsnote
Eine Schneise durch Peking.

Im Schatten eines Parks
hinter einem Büro
eine Straße
ohne Namen.

19
Aug
2009

"Wenn du nicht artig bist, kommt der Runar und nimmt dich mit" — ein ungesühnter Doppelmord wurde 50 Jahre alt

Prolog: Anfang August 1959 begann man in Finnland das rätselhafte Verschwinden zu verfolgen zweier junger Damen aus Jyväskylä, das der Krankenschwesterschülerin Eine Maria Nyyssönen und das der Bürogehilfin Riitta Aulikki Pakkanen, die zusammen zu einer Radfahrtour aufgebrochen waren.

Die Mädchen, die sich im Sommerurlaub befanden, waren am 18. Juli von Jyväskylä aus in den Osten des Landes nach Savo und Nord-Karelien losgefahren. Zuhause wollten sie wieder am 28. Juli sein. Es wurde noch ein paar Tage länger zugewartet. Bis daß man jedoch dann damit anfing, Schlimmstes zu ahnen, als Riitta am Montag, dem 3. August, nicht an ihrer Arbeitsstelle erschien.

Der Verlauf der Aufklärung des Falls stellte vom 9.8. an etliche Male den Hauptartikel auf den Vorderseiten in der finnischen Presse, als berichtet wurde, daß nach Beobachtungen von etlichen Augenzeugen die jungen Damen am 25. Juli auf ihrer Radeltour von Viinijärvi aus an der Kreuzung der Landstraßen nach Kuopio und nach Varkaus in Richtung Varkaus weiterfuhren.

Am 11. August wurde dann in den Zeitungen berichtet, die jungen Frauen hätten in der Nacht zum 28. Juli auf dem Camping-Platz von Tulilahti in Heinävesi übernachtet.

Die Mädchen hätten sich dort mehrere Stunden lang mit zwei Jugendlichen unterhalten, und erzählt, daß sie nach Varkaus ihre Reise fortsetzen würden, um dort Verwandte zu besuchen. Der Landpolizeikommissar des Bezirks von Heinävesi bestätigte, daß es sich ganz sicher um die gesuchten jungen Frauen handelte. Es waren diese dann auch am folgenden Morgen nochmals gesehen worden, wie sie in Richtung Varkaus loszogen. Hernach hat es jedoch keine Informationen zu ihnen mehr gegeben.

An den darauffolgenden Tagen trafen "glaubwürdige" Sichtungen aus der Umgebung von Varkaus ein. Am Freitag, dem 14. August 1959, wurde laut den Zeitungen die größte Suchaktion in der Geschichte der Regierungsbezirke von Kuopio und Mikkeli auf die Beine gebracht, allerdings gänzlich vergebens. In der Öffentlichkeit hingegen wurde bereits tagelang über die von der Polizei am 15. August vorgebrachte These gemunkelt, daß "die Mädchen Opfer eines Triebmörders geworden sind".

Ein paar Tage konnten die Medien kurz zur Ruhe kommen, bis am 21. August in einem Sumpf auf dem Campingplatz-Areal von Tulilahti das Grab der brutal niedergemetzelten jungen Frauen gefunden war.


Am Samstag, dem 22. August 1959 war folgendes in den Zeitungen Finnlands zu lesen: "Das Rätsel des Verschwindens der jungen Frauen aus Jyväskylä, das die Gemüter im ganzen Land erregt hatte, ist wie befürchtet auf erschütternde Weise gelöst worden. Die am Freitagmorgen eingeleitete intensive Suchaktion führte um 8.10 Uhr zum Resultat, als am Camping-Strand von Tulilahti bei Heinävesi das sorgfältig abgedeckte und unkenntlich gemachte Grab im Sumpf, in dem die jungen Frauen noch der Bluttat versteckt worden waren, ans Tageslicht kam. Die Grube war gerade 30 cm tief und ca. 50 cm breit. Gemäß den Erkenntnissen der Polizei wurden die Mädchen auf dem eigentlichen Campingareal getötet und hernach ungefähr 200 Meter in das Versteck für die Leichen weggeschafft. Zu den Tätern der schrecklichen Tat hat die Polizei noch keine Informationen, jedoch wurde am Abend die Festnahme von zwei Mopedfahrern vorgenommen. Die Männer haben bekannt, Ende Juli in Heinävesi unterwegs gewesen zu sein. Zu deren Schuld oder Unschuld an der Ermordung der Mädchen wollte die Polizei indes keine weiteren Angaben machen, da die Verhörungen noch nicht abgeschlossen sind."

An die Gestade des Seeufers des Campingplatzes von Heinävesi wurden laut den Nachrichten in jener Nacht aus der Kaserne von Mikkeli 24 Männer abkommandiert, um den Polizisten behilflich zu sein. Gemäß den Zeitungsberichten begann die Suchaktion am Freitagmorgen um ½2 Uhr, und sie führte zur angegebenen Zeit zum Erfolg.

Der Soldat Mauno Kiviaho zog an einem einen Meter langen Setzling einer Tanne, woraufhin dieser ganz leicht aus der Erde herauskam. Der Soldat zog an einem weiteren Sprößling, und auch der war mit der Hand herauszuziehen. Das Sumpfgrab der 21-jährigen Eine Nyyssönen und der 23-jährigen Riitta Pakkanen war gefunden. Die Grube war mit Moos abgedeckt und die teilweise einer danebenstehenden Anhäufung von Stangenholz entnommenen jungen Föhren - von denen acht Stück gezählt wurden - waren über der Grube bereits ausgetrocknet.

Die Suchaktion der Gruppe rief den Fall der sechs Jahr davor in Isojoki getöteten Kyllikki Saari in Erinnerung. Auch der Leichnam von Kyllikki war bei einer Suchaktion in einem Sumpfgrab entdeckt worden und auf die gleiche Art, indem eine Föhre in der Hand eines der Suchenden sehr leicht aus dem Boden zu ziehen war.

Die Polizei hatte den starken Verdacht, daß Tulilahti der Tatort sei und es wurde beschlossen, den Ort genauer durchzukämmen.

Kriminalkommissar Tauno Räisänen berichtete, daß ein am Camping-Ufer gefundener verbeulter Kochtopf die Schlußfolgerung hinsichtlich des Tatorts nahelegte. Der Topf war einige Tage früher gefunden worden und es wurde angenommen, daß es der Kochtopf der verschwundenen Mädchen war.

In der näheren Umgebung der Grube fanden sich nach dem Auffinden der Leichen überall Gegenstände, die den Mädchen gehörten, zunächst Kleidungsstücke, dann die Satteltaschen, eine Filzdecke, das Zelt. Nur die Fahrräder wurden nicht gefunden.

Die als die Schuldigen verdächtigten Mopedfahrer wurden im Dorf Syväniemi nahe Hirvensalmi festgenommen. Sie waren drei Wochen lang tagsüber auf einem gewissen Bauernhof arbeiten gewesen und zum Zeitpunkt der Festnahme auf einem Haferfeld. Die Dorfbewohner hielten die Männer für verdächtig und gaben bald, nachdem die Leichen gefunden waren, beim Landpolizeikommissar eine Anzeige auf. Die Männer wurden gesucht und in polizeiliches Gewahrsam gebracht, es konnten jene aber für die vermutete Mordnacht zum 28. Juli Alibis aufweisen.

Bald überstürzten sich die Ermittlungen wie im Fall von Kyllikki Saari. In einem Leitartikel der Zeitungen hieß es, daß Dutzende der Bewohner von Heinävesi auf der Liste der Verdächtigen stünden. In der Titelgeschichte wurde vermutet, daß der Mörder sich immer noch auf dem Campingplatz bewege. Der Mörder hatte vielleicht selbst in der Nacht nach der großangelegten Suche vom Samstag noch eine Armbanduhr auf dem Campingplatz abgelegt. Eine Uhr war am Sonntag an einem gut einsehbaren Platz gefunden worden.

Tulilahti wurde zu einem gewaltigen Tummelplatz für die Medien und für allerhand Gerüchte, etliche Festnahmen wurden vorgenommen und in den Zeitungsblättern wurden die seltsamsten Geschichten kolportiert. Verdächtige fanden sich sowohl von weiter her als auch von ganz in der unmittelbaren Nähe, auch in dem Haus, aus dem der Killer eine Schaufel holen ging, wie auch in der Nachbarschaft von dort - und auch der Hund des Hauses bellte ja die betreffende Person nicht an, da sie ihm bekannt gewesen sein muß. Zu einem Hauptverdächtigen wurde sodann auch der Totengräber von Heinävesi, auf dessen gepachteten Land die Grube war. Offensichtlich hatte der Mörder das Boot des Totengräbers benutzt, um die Fahrräder an der tiefsten Stelle im Kermajärvi-See zu versenken. Die Räder wurden am 4. September gefunden.

Die Aussegnung der Mädchen erfolgte in Jyväskylä in der Kirche von Taulumäki am Samstag, dem 29. August, einen Monat nach dem Mord. Begleitet von einer zehntausendköpfigen Gemeindeschar.

Im Herbst des gleichen Jahres ging der Trubel wieder von neuem los, als die Verdächtigungen auf den Gelegenheitsarbeiter Runar Holmström fielen. Dieser wurde im November 1959 in seinem Heimatort Munsala im mittelnordfinnischen Bezirk Österbotten festgenommen. Von Holmström wurde behauptet, daß er den Mädchen mit seinem Moped nachgefahren sei, und das gestand er auch ein. Von den Schnitzspuren von Holmströms Schwedendolch der Marke Mora wurde behauptet, daß sie kongruierten mit den Schnitzspuren an einem über der Grube errichteten Baum. Es wurde auch angeführt, daß der Mann gewalttätig und gefährlich sei.

Viele zweifelten aber auch an der Schuld Holmströms - es hatte jener doch keinerlei Ortskenntnisse. Wie konnte ein kleingewachsener und schmächtiger Mann von 164 cm es fertiggebracht haben, ganz alleine so ein Trauerspiel abzuziehen: die Opfer töten, sie recht weit vom blutigen Tatort wegschleppen, eine Schaufel suchen gehen und eine Grube ausheben, ein Boot entwenden und die Räder versenken. Hernach versteckte der Mörder noch die Gegenstände der Opfer sorgsam verstreut übers ganze Terrain.

Holmström wurde zum offenen Fall. Er erhängte sich am Morgen des 8. Mai 1961 in seiner Zelle im Bezirksgefängnis von Vaasa. Er hinterließ einen Zettel, auf dem er seine Unschuld beteuerte.

Holmström hätte auf alle Fälle ein Urteil mit einer Zwangseinweisung in eine geschlossene Anstalt erwartet, selbst wenn die Anklage wegen Mordes nicht aufrecht erhalten hätte werden können: nach damals gültigem Gesetz war sein Verbrechensregister derart lange, daß allein schon bei den ihm nachgewiesenen Verbrechen, insbesondere dem Besitz einer gestohlenen, durchgeladenen und ungesicherten Pistole bei seiner Verhaftung (die er allerdings nicht anwendete) die Summe seiner Gesamtstrafe die Grenze zu einer Abschottung in einer Zwangseinweisungsanstalt hin überschritten hätte - und jeder, der damals in einem Gefängnis einsaß, fürchtete über alles eine Sicherungsverwahrung. Von einer solchen hieß es damals, daß sie einem lebendig Begrabenwerden gleichkäme - so daß der vorgezogene Selbstmord gar nicht so außergewöhnlich wirkt.

In der finnischen Provinz von Pohjanmaa (Österbotten) sind Kinder im Namen von Holmström eingeschüchtert worden: "Wenn du nicht artig bist, kommt der Runar und nimmt dich mit."


Epilog: Diesen Sommer über hat die Zentrale Kriminalpolizei Finnlands (KRP) ein halbes Dutzend neuer Hinweise erhalten zu den Morden an den zwei damals zum Zelteln gefahrenen Frauen von vor 50 Jahren.

Der Fall hat sich in die Schar der berühmten, unaufgeklärt gebliebenen Kriminalgeschichten des Landes eingereiht.

Mehrere Nachrichtenmedien haben während des Sommers in Artikeln Bezug genommen zu den Ereignissen von Tulilahti von damals, die sich nun vor drei Wochen zum fünfzigsten Mal gejährt haben. Zuvor kamen bereits im Jahre 2000 neue Hinweise hereingeplatzt, als ein Medienhaus ausgiebig das Thema wieder aufgegriffen hatte, wie Kriminalhauptkommissar Martti Kemppainen aus der Abteilung der Kriminalpolizei von Mikkeli berichtet.

Die KRP wird im Laufe des Herbstes den neuerlichen Hinweisen nachgehen. Es würde erst abgewartet, ob sich noch mehrere Tipps einstellten. Diese würden dann allesamt späterhin im Herbst bearbeitet.

Die Zeitung Helsingin Sanomat berichtete von Plänen der KRP hinsichtlich einer neuerlichen Untersuchung des Falls.

17
Aug
2009

Mann und Frau

Heute will ich mal ein paar Gedanken niederschreiben zum Verhältnis von Mann und Frau. Ein kurzer Text wie dieser hier beinhaltet zwar immer die Gefahr der Verallgemeinerung. Es ist jedoch klar, daß nicht alle Männer gleichartig veranlagt sind - ebensowenig die Frauen.

Als Grundlage für meine Gedanken dient ein Gedicht der finnlandschwedischen Dichterin
Edith Södergran (1892 - 1923), das da folgendermaßen lautet:


Sinä etsit kukkaa,

löysit hedelmän.

Sinä etsit lähdettä,

löysit meren.

Sinä etsit naista,

löysit sielun

— olet pettynyt.



Übertragen ins Deutsche heißt das:

Du suchtest nach einer Blume,

was du fandst ist eine Frucht.

Du suchtest nach einer Quelle,

was du fandst ist ein Meer.

Du suchtest nach einer Frau,

was du fandst ist eine Seele

— enttäuscht bist du.



Die Gedichtstrophe ist unzählig viele Male zitiert worden. Wovon tut sie Kunde? Idee und Stimmung des Gedichts bezeichnen - leider, wie man eigentlich sagen muß - die Lage der Dinge sehr treffend.

Ein Mann kann enttäuscht sein, wenn er nach einer Blume und nach äußerer Schönheit sucht, er aber menschliche Reife und Tiefe vorfindet. Und ein Mann kann enttäuscht sein, wenn sich ihm anstelle einer Quelle, aus der er endlos schöpfen könnte, ein unermeßliches, launenhaftes, Ehrfurcht erheischendes Meer auftut, er einen mit seinen Schwächen und seiner Stärke ausgestatteten Menschen gefunden hat, dessen Geistesumtriebe und Taten nicht
vorherzusehen oder zu lenken sind, wie das bei einem stehenden Gewässer oder einer Maschine der Fall wäre.

Vor allen Dingen kann ein Mann enttäuscht sein, wenn er nach einer solchen Frau sucht, die das Rollendenken unserer Gesellschaft uns beizubringen trachtet: die demütige Dienerin, die sich aufopfernde Mutter, das immer-jugendliche Sexobjekt, ein Haushaltsroboter, eine rund um die Uhr fürsorgliche Kinderpflegerin sogar noch als Großmutter. Oder die von den Medien heutzutage präsentierte Erfolgsfrau, die gebaut ist wie ein Spitzensportler, oder Person im Hosenanzug, die in den Wettbewerb im wirtschaftlichen Leben hineinpaßt.

Dieser Mann wird aber auch enttäuscht sein, wenn er einen ausgemachten Menschen vorfindet, der physische, psychische und geistige - vielleicht auch spirituelle Eigenschaften und Bedürfnisse in sich vereint, und der es wagt, auch auf die Art und Weise zu leben, wie es die Situation einfordert: eine Frau, die es wagt, zu sich selbst zu stehen, eine Frau, die ihre eigene Person ist. Nicht nur die Frau oder Ehegattin ihres Mannes, nicht nur die Mutter ihrer Kinder, vor allem nicht eine Frau, die dem von Männern und Medien geschaffenen Produkt entspricht.

Da ich selbst ein Mann bin, kann ich fairerweise sagen, daß auch ich nach Art der erlernten Rollen gehandelt habe, daß ich aber versucht habe, davon freizukommen. Man kann sich selbst dazu erziehen, zu denken, daß der andere auch eine ernstzunehmende Person ist, und kein Zielobjekt oder ein Mittel zum Zweck, nicht irgend ein Ding, das in einer Beziehung zu einem selbst steht, oder womit man sich selbst vergleichen kann. Es mag schwerfallen, es lohnt sich aber, so zu denken, denn dann erspart man sich Enttäuschungen und erspart auch der Frau eine Enttäuschung - und vielleicht gar eine Verbitterung.

16
Aug
2009

Ausgefallen tierlieb

Rånjas Lieblingsplatz ist unter Bäumen im lichten Wald. Sie weckt den Herrn des Hauses sowie ihre Ziehmutter bereits morgens um sechs Uhr, um an ihr Frühstück zu kommen. Rånjas Pflegefamilie besitzt ein Sommerhäuschen auf einer Insel auf Åland, auf die das Tier im Boot mitfahren darf.

Nein, Rånja ist kein Hund. Es ist
ein gewöhnliches Bambi-Rehchen.

Die Åländer Bengt und Susanne Nordberg fanden Rånja im Mai in einem Waldstück. Sie kauerte einsam und verlassen auf einer Traktorspur vor sich hin und war nicht in der Lage, auf ihre Beinchen zu kommen. Vom Muttertier des ein paar Tage alten Jungtiers war weit und breit keine Spur zu sehen. Als Rånja am Abend des gleichen Tages immer noch bedauerlich im Regen dalag, nahmen die Nordbergs sich ihrer an und nahmen sie unter ihre Fittiche.

Das Rehkalb ist nachdrücklich Susanne, die es von Anfang an gefüttert hat, zugetan. Derzeit futtert Rånja außer Heu unter anderem Gebäck, Erdbeeren und Butterbrote.

Die zwei Jagdhunde der Familie haben den Neuankömmling gut aufgenommen. Wenn man mit Katz- und Mausspiel fertig ist, kommt Rånja heran, um der Hündin Ellen das Ohr abzulecken.

Die Nordbergs beabsichtigen, Rånja späterhin wieder der Natur zu übergeben. Die Aufnahme eines wilden Tiers an Stelle eines Haustiers ist denn auch im allgemeinen nicht statthaft.

15
Aug
2009

Herausgefallen aus einer goldenen Wiege himmlischer Hingabe — hinein in die Prostitution einer Zeit kultureller Verstelltheit

Früher waren die devadasi in ganz Indien verbreitet; heute gibt es sie vor allem noch im Süden des Landes.

Sind es Priesterinnen, Tänzerinnen oder Prostituierte?

Gibt man den Begriff devadasi in eine Internet-Suchmaschine ein, so stößt man einerseits auf Berichte von zur Prostitution gezwungenen Minderjährigen, andererseits aber auch auf Websites zur indischen Tanzkunst und zu hinduistischen Priesterinnen. Man fragt sich zu Recht: Was hat all das miteinander zu tun?

Das Wort devadasi bedeutet soviel wie Gottesdienerin und wird seit Ende des 19. Jahrhunderts als Sammelbegriff für geweihte Frauen, mitunter sogar auch für nicht geweihte sadir-Tänzerinnen verwendet. Die Tradition, Frauen einem bestimmten Tempel zu weihen und sie dazu symbolisch mit der Tempelgottheit zu verheiraten, dürfte sehr weit zurückgehen. Unter Bezeichnungen wie sumangali, sule, murli, jogathi, bhavini, bogam, basavi nebst einigen anderen werden derartige Tempelfrauen bereits ab dem 7. Jahrhundert erwähnt; ihre Anzahl und auch ihr Tätigkeitsbereich scheint unterschiedlich gewesen zu sein. Glaubt man den Inschriften, so ließ der Chola-Monarch Rajaraja im Jahr 1004 vierhundert devadasis in den Haupttempel von Tanjore beordern und auch 200 Jahre später sollen hunderte devadasis im Tempel von Somnath in Gujarat gelebt haben. Offenbar gab es eine starke Verstrickung zwischen dem Tempeldienst und den Tanzvorführungen in den königlichen Palästen. Die devadasis standen somit in einem Dreiecksverhältnis zwischen dem Tempel und einem reichen, adeligen oder gar königlichen Patron, der den Tempel einschließlich seiner Priesterschaft und devadasis finanziell unterstützte. Als Tempeltänzerinnen erhielten die devadasis einerseits ein fixes Gehalt und Ackerland von ihrem Tempel, wurden andererseits aber mitunter selbst so wohlhabend, daß sie dem Tempel Gold, Lampen, Tiere oder ebenfalls Land schenken konnten. Außerdem wurden die devadasis nicht nur (ausschließlich von Männern!) in Musik und Tanz ausgebildet und durften lesen und schreiben lernen, sondern waren auch berechtigt, selbst Kinder zu adoptieren, als Haushaltsvorstand zu agieren, zu erben und das vom Tempel erhaltene Land selbst zu besitzen; "Privilegien", die für viele hinduistische Frauen bis zum heutigen Tag unvorstellbar sind.

Europäische Handelsreisende, Missionare und Mitglieder der britischen Kolonialmacht konnten mit der vorgefundenen Verbindung von Sexualität und Religion meist wenig anfangen und berichteten dementsprechend schockiert über die "Tempel-Prostituierten". Dennoch geben ihre Erzählungen interessante Einblicke in das Leben der devadasis in vergangenen Jahrhunderten. In seinem 1792 veröffentlichten Buch schildert Abbé Dubois unter anderem, daß wichtige Tempel jeweils acht bis zwölf devadasis beschäftigten, daß diese den Göttern zwei Mal täglich mit Tanz und "obszönem" Gesang huldigten, oder gar auch schöne Frauen ihren Ehenmännern von den priesterlichen Brahmanen für das unsittliche Tempel-Treiben weggenommen wurden. 1870 berichtet John Shortt davon, daß die geweihten Mädchen im zarten Alter von fünf Jahren ein hartes, dreijähriges Tanztraining begannen und bei Erreichen der Pubertät entweder von den Tempelpriestern selbst oder von dafür gut zahlenden reichen Männern defloriert wurden und fortan allen gleich- oder höherkastigen Männern zur Verfügung stehen müßten. Verhältnisse mit Männern mit niedrigeren Kasten oder Shudras (Unberührbaren) wurden mit Strafen geahndet und konnten sogar einen Ausschluß aus dem Tempelwesen zur Folge haben. In den meisten Fällen dürften sich vertraglich geregelte, längerfristige Konkubinate entwickelt haben, bei denen es der devadasi sehr wohl möglich war, selbst einen möglichst reichen, mächtigen und gebildeten Liebhaber auszuwählen oder hohe Summen für Tanz-Auftritte außerhalb des Tempels zu verlangen.

Religiöser Kontext

Bei der gesamten Thematik darf nicht außer Acht gelassen werden, was Sexualität und Religiosität im hinduistischen Kontext bedeuten. Vor allem im Süden Indiens haben sich drawidische, oft um Fruchtbarkeitsgöttinnen zentrierte, Kulte erhalten bzw. ab dem 5. Jahrhundert mit dem vedischen Hinduismus vermischt. Gleichzeitig wurde auch das tantrische Konzept der göttlichen Vereinigung von männlicher und weiblicher Energie (shiva-shakti) in die südindische Glaubenspraxis integriert. Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus plausibel, daß den sakralen Prostituierten wichtige Funktionen zuteil wurden und sie daher einen hohen Stellenwert genossen (und immer noch genießen). Devadasis sollten den bösen Blick, schlechte Ernten, Krankheit und Tod abwehren, das Tempelheiligtum pflegen und die höheren Mächte sowohl durch ihre Kunst (Gesang und Tanz) als auch durch ihre Sexualität gütig stimmen. Als Frau, die durch ihre Ehe mit der Tempelgottheit nie Witwe werden konnte (und dadurch niemals von der sati, der Witwenverbrennung bedroht war), galt und gilt die devadasi als nityasumangali, die Immer-Glückliche/Glückbringende. Devadasis wurden und werden oft auf Hochzeiten und zu anderen Festlichkeiten eingeladen, um den Anwesenden Glück zu bringen. In diesen Kontext passt auch das Sprichwort "to see a courtesan (or prostitute) is auspicious and the destruction of sin". Allerdings stellt sich hier die Frage, ob die solcherart bekundete Wertschätzung nicht einfach ein bequemes Instrument dafür war/ist, um mächtigen Königen oder reichen hochkastigen Männern eine gesellschaftlich akzeptierte Form der Promiskuität mit Frauen aus niedrigeren Kasten zu ermöglichen.

Wandel

Auch wenn der Status der devadasis in früheren Jahrhunderten durchaus kritisch zu betrachten ist, kann man davon ausgehen, daß sich ihre gesellschaftliche Position in den letzten 150 Jahren enorm verschlechtert hat und von den einst vorhandenen Privilegien kaum mehr etwas übriggeblieben ist. Begonnen hat dieser Wandel mit der Besetzung Indiens durch die Briten im Jahr 1857. Die durch die Kolonialherrschaft verstärkte Verbreitung der christlich-viktorianischen Ideologie führte bald zum Heranwachsen einer von westlichem Gedankengut beeinflußten Mittel- und Oberschicht, die das Phänomen der devadasis aus dem europäischen Blickwinkel zu betrachten begann. Gerne wurde die Tempelprostitution von den Brahmanen als für die "moderne" Frau entwürdigend kritisiert und mit fiktiven, keuschen und "reinen" Priesterinnen früherer Zeiten kontrastiert. Es gilt mittlerweile als gesichert, daß es derartige "hinduistische Nonnen" niemals gegeben hat und aus der geschichtlichen Distanz scheint auch der Anspruch der damaligen pro-britischen Sozialorganisationen äußerst fragwürdig, mit einem Verbot des devadasi-Kults den Status der Frau verbessern zu wollen. Vielmehr scheint es bei der groß angelegten Anti-Nautch (von natch = bestimmter devadasi-Tanz)-Kampagne ab 1882 eher darum gegangen zu sein, ein weibliches Privileg zu beseitigen, daß dem hinduistischen Patriarchat schon lange ein Dorn im Auge war. Durch gezielte Propaganda wurde den devadasis in den folgenden Jahrzehnten die Lebensgrundlage entzogen. Interessanterweise schien es dabei vor allem der europäisierten hinduistischen Mittelschicht ein Anliegen zu sein, im Ausland nicht mit "barbarischen" Bräuchen in Verbindung gebracht zu werden. Immer wieder wurden die britischen Besatzer damit bedrängt, Anti-devadasi-Gesetze zu erlassen, zumindest keine Auftritte von devadasis im Ausland oder vor hohen Regierungsmitgliedern zuzulassen. Zeitgleich mit der öffentlichen Diskreditierung der Tempeltänzerinnen entstand eine ebenfalls hochkastige revivalist-Bewegung, die den sadir-Tanz der devadasis zur rettenswerten klassischen Kunst stilisierte. Die Geschichte von den ehemals keuschen "Hindu-Vestalinnen" wurde dabei nur zu gern aufgegriffen, um den Tanz von seinem "unwürdigen" Umfeld zu "reinigen" und damit für die brahmanische Oberschicht salonfähig zu machen und als neue, für die indische Nation repräsentative Staatskunst zu etablieren.

Was blieb von den devadasis? - Heutige Situation

Um es mit Svejda-Hirschs treffenden Worten auszudrücken: "Es sind einzig und allein die devadasis selbst, die [...] zugrundegerichtet wurden. Weder der Tanz noch die Prostitution als solches wurden letztlich angeprangert oder verboten".

Tanz

Unter dem neuen Namen Bharatanatyam wurde der sadir ab den 1930er Jahren zu der international anerkannten indischen Tanzkunst. Paradoxerweise hatten manche der aufstrebenden revivalist-Künstlerinnen überhaupt keine Bedenken, bei den geächteten devadasis Unterricht zu nehmen oder sie sogar für die eigene Tanzakademie als Lehrerinnen anzustellen (wie etwa im Fall von Rukmini Devi, die für ihre berühmte Kalakshetra-Schule devadasis aufnahm). Als inhaltlich problematisch erwies sich vor allem die tänzerische Darstellung von Erotik (shringar) im Rahmen der hingebungsvollen Gottesliebe (bhakti), die schlecht zum asketischen Bild des "neuen" klassischen Tanzes passen wollte. Ohne den Tanz selbst allzu stark zu verändern, wurde das Problem letztlich durch eine stärkere Fokussierung auf abstraktere Inhalte und die zunehmende Sanskritisierung (Einbeziehung klassischer Sanskrit-Texte, Puja-Opfer auf der Bühne, Annahme brahmanischer Lebensformen) gelöst. Veränderte Auftrittsbedingungen, wie große Bühnen und neue Unterrichtsformen (bezahlter Unterricht an Tanzakademien statt Unterweisung durch gurus aus | devadasi |-Familien), taten das ihre, um den Konnex zu den devadasis und zur Tempelprostitution vergessen zu machen.

Prostitution

Zwar verschwanden die devadasis mit dem Prevention of Dedication Act 1947 aus den großen, prestigeträchtigen Tempeln, auf dem Land zeigte das Gesetz jedoch keinerlei Wirkung. 1975 wurden in Südindien drei- bis viertausend Mädchen der Göttin Ellamma geweiht und 1987 berichteten die Tageszeitungen des Bundesstaates Karnataka von der Weihe von tausend Mädchen, die im Beisein der Polizei erfolgte, als ob keinerlei Verbotsgesetze existierten. Auf die Weihe im Kindesalter folgt unweigerlich eine Zukunft als Prostituierte, die nach einer möglichst gut finanziell abgegoltenen Entjungferung durch lokale Potentaten meist ein Leben in einem Großstadtbordell bedeutet. Eine Ausbildung erhalten die heutigen devadasis nicht; die meisten können, ebenso wie ihre Eltern, weder lesen noch schreiben. Nach einer Statistik der Indian Health Organisation waren 1994 15% der 10 Mio. indischen Prostituierten devadassi. Durch die Weihe zur devadasi wird die Frau von der strengen Treue an einen Ehemann entbunden und erhält einen höheren gesellschaftlichen Status. Weitere Gründe für eine Weihe sind oft, wie in früheren Zeiten, familiäre Probleme (Krankheit, unerfüllter Kinderwunsch), die mit einem "Opfer" an die Dorfgöttin/den Tempelgott gelöst werden sollen, aber natürlich auch die bittere Armut und Unwissenheit, die die Eltern oft zur leichten Beute von Kupplerinnen und Bordellbesitzerinnen werden läßt. Tatsächlich verdienen die jungen Frauen in den Stadtbordellen meist ein Vielfaches von dem, was sie jemals als Landarbeiterinnen verdienen könnten und schüren bei ihren Besuchen im Dorf Hoffnung auf ein besseres Leben. Mit ihrem Geld erhalten sie neben den Kupplerinnen und Bordellbesitzerinnen vor allem jahrelang die eigene Großfamilie, die sich trotzdem oft nicht um gealterte oder kranke devadasis kümmert. Um die Altersversorgung zu gewährleisten, kaufen oder adoptieren viele devadasis Mädchen, die in den Teufelskreis eingespannt werden. Der Preis ist hoch: Ungewollte Schwangerschaften, Geschlechtskrankheiten und der Tod durch eine HIV-Infektion sind übliche Schicksale. Nur selten gelingt der Ausstieg durch Heirat oder eines der überaus zaghaft installierten staatlichen devadasi-Rehabilitierungsprogramme. Internationale NGOs versuchen zu helfen, doch um das Übel an der Wurzel zu packen, müßte vor allem der Staat in den Bereichen Armutsbekämpfung und Bildung aktiv werden.

14
Aug
2009

Tempelweihe und Prostitution — im Spiegelbild von heute im Land der Götter & Göttinnen

Schon die britischen Kolonialherren waren - allerdings mit mangelndem Sachverständnis - gegen die Weihe junger Inderinnen zum Tempeldienst angegangen. Während rituelle Aufgaben den Tempeldienerinnen früher ein Mass an Achtung und Würde verschafften, sind sie heute weitgehend auf Prostitution und Betteln angewiesen.

"Meine Tochter macht mir heute Vorwürfe: 'Warum hast du mich Ellamma geweiht?' Ich fühle mich dann sehr schlecht. Aber damals war das normal... Heute sagen die Leute: Es ist verboten, ein Mädchen der Göttin zu weihen; du könntest verhaftet werden." - Zögernd erzählt Balasundari, eine ältere Frau aus einem Dorf im südindischen Staat Andhra Pradesh, warum sie ihre Erstgeborene der Göttin weihte. Sie hatte gehofft, Ellamma werde ihr dann Söhne schenken. Zumindest werde die Geweihte - anders als eine verheiratete Tochter, die Teil der Familie ihres Mannes wird - sie im Alter versorgen.

Balasundaris Entscheidung ist nicht ungewöhnlich. Um Ellamma gnädig zu stimmen, weihen Eltern in den Dörfern von Andhra Pradesh bis heute ihre Töchter zu Tempeldienerinnen, wenn sie sich Söhne wünschen oder Probleme in der Familie auftreten. Diese "Dienerinnen der Göttin" waren einst geachtet, betont Nursamma, eine ältere Jogathi aus dem gleichen Dorf. Heute dagegen arbeiteten die meisten "als gewöhnliche Prostituierte". Gemäß Expertinnen dürfte dies tatsächlich zutreffen. Eine Jogathi darf nicht heiraten und muß jedem Mann, der mit ihr schlafen möchte, in welchem sie einen Stellvertreter des Gottes sieht, mit dem sie verehelicht ist, zur Verfügung stehen. 40 000 Jogati soll es derzeit in Andhra Pradesh geben, obwohl die Praxis seit 1988 gesetzlich verboten ist.

Dem System beizukommen, erfordert Mühe, weiß Nirmala, die eine entsprechende Nichtregierungsorganisation leitet. "Laß die Hände von unserer Kultur! Das ist unsere Religion." Zumal von Männern aus höheren Kasten wird Nirmala oft mit aggressiven Worten empfangen. Doch auch die Jogathi verteidigen häufig das System.

Es braucht Zeit, bis die Menschen Nirmala zuhören. Mit ihren Fragen versucht sie dann, die Jogati wenigstens zu einem kritischen Blick auf ihre "Tradition" zu bewegen. Warum drängen die oberen Kasten auf die Weihe neuer Jogathi? Warum kommen die meisten Jogathi aus Familien von Dalits (gebrochenen Menschen), wie sich Unberührbare heute nennen, jene Menschen also, die unter- und außerhalb des Kastensystems stehen? Offiziell wurde die Unberührbarkeit mit der indischen Bundesverfassung von 1950 abgeschafft, sie wird aber in vielen Formen weiter praktiziert. Für Nirmala, die selbst Dalit ist, steht fest: Das Jogathi-System, dessen Name regional variiert, ist eine institutionalisierte Demütigung von Dalitfrauen.

Aktivistinnen wie Nirmala geht es um Menschenwürde und -rechte der Jogathi. Parallel dazu gilt es nach Ansicht der am angesehenen Forschungsinstitut "Centre for the Study of Developing Societies" in Delhi tätigen Historikerin V. Priyadarshini, "die Unberührbare als Person zu rehabilitieren und ihrer kulturellen Verstümmelung entgegenzutreten". Man dürfe sie nicht nur als Opfer sehen oder gar als "Agentin der Unmoral". "Die Jogati muß in den Diskurs über Staat, Gesellschaft und Kultur integriert werden", sagt Priyadarshini.

In ihrem Buch "Recasting the Devadasi: Patterns of Sacred Prostitution in Colonial India" hat Priyadarshini die teilweise bis heute lebendige Tradition an der "Schnittstelle zwischen den Kulturen der Kastenhindus und jener der Unberührbaren" rekonstruiert. Zugleich hat sie die in der Kolonialzeit entstandenen Bewegungen zum Verbot des Systems evaluiert, in deren Zuge die Begriffe Devadasi (Tempeldienerin) und Nautch-Girls (tanzende Mädchen) zu zentralen Begriffen erhoben und damit die vielfältigen Identitäten dieser Frauen verschleiert wurden.

"Tempeldienerinnen" lassen sich laut Priyadarshini in mehrere Gruppen einteilen, insbesondere die Sumangali aus den niedrigen Kasten sowie die Jogathi und die Matangi, die in der Regel Unberührbare waren. Die Sumangali gehörten den grossen Tempelanlagen fruchtbarer Regionen an, wo sie als Sängerinnen und Tänzerinnen bei grossen Festen auftraten. Als hochgebildete Frauen wurden sie auch an Fürstenhöfe gerufen. Die Jogathi dienten als Ritualexpertinnen im ländlichen Raum. Ihre Gegenwart bei vielen Familien- und Dorffesten war erforderlich, um die Fruchtbarkeit von Mensch und Tier, eine gute Ernte sowie das Wohl der Gemeinde zu sichern.

Sowohl für die Jogathi als auch für die Matangi, die Dienerinnen der unberührbaren Göttin Matangi (in Form von Ellamma u.v.a.), lassen sich Rituale belegen, bei denen die strikten Reinheitsregeln des Kastensystems durchbrochen wurden. Körperkontakt, physische Nähe sowie das Teilen von Wasser und Nahrung mit Unberührbaren galten traditionell als Ursache ritueller Verschmutzung von Kastenhindus. Bei Hauseinweihungen aber, bei denen die Jogati "alles Unheil absorbieren" sollte, warfen sich hochkastige Frauen der Jogathi zu Füßen und boten ihr in dem den Göttern geweihten Raum des Hauses Speisen dar.

Die Matangi ihrerseits galt bei manchen Ritualen als von der Gottheit besessen. In wilder Trance bespuckte sie dann hohe Kastenhindus, die das hinnahmen, obwohl sie, wie Priyadarshini schreibt, "unter normalen Umständen den Tod einer solchen Verschmutzung vorziehen würden".

Derartige Rituale geben nach Ansicht der Historikerin Aufschluss über die Konstruktion von göttlich-weiblicher Energie (Shakti) und ihre Verankerung in der Gesellschaft. In ihrer Rolle als "Tempeldienerinnen" galten unberührbare Frauen als aktives weibliches Prinzip im sakralen Raum-Zeit-Gefüge. Ihre Shakti wurde auch in der sexuellen Vereinigung genutzt. So läßt sich der Glaube belegen, "daß ein Mann aus hoher Kaste durch die Begegnung mit einer sakralen Prostituierten mit göttlicher Energie aufgeladen würde; die Hindufrau erlangt dagegen ihre Shakti durch Keuschheit und Hingabe an ihre Familie".

Während die Unberührbare als Ritualexpertin somit maßgeblich für das Wohl der Kastengesellschaft zuständig war (durch ihr Fernhalten z.B. von Cholera und anderen Epidemien), wurde sie außerhalb ihrer rituellen Aufgaben auf die dem Kastensystem entsprechende Distanz gehalten. So erhielt die Jogathi bei ihrer Weihe eine Bettelschale, denn es gehörte zu ihren 'Rechten', um Nahrung zu betteln. Dies entsprach dem 'Recht' vieler Unberührbarer, als Entlohnung für ihre Dienste im Dorf Essen zu erbetteln.

Das Devadasi-System lässt sich nur vor dem Hintergrund eines hierarchischen religiösen Systems sowie feudal-patriarchaler Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen verstehen, betont Priyadarshini. Sie studiert nun die aktuellen Formen des Systems, dessen kulturell-religiöse Komplexität Missionaren und britischen Kolonialisten im 19. Jahrhundert unzugänglich geblieben sei. Sie deuteten die 'Tempelprostitution' als Zeichen der "sexuellen Pathologie" der Inder. Auf diese Vorwürfe reagierten westlich gebildete Kastenhindus mit Reformkampagnen, die bald viele lokale Traditionen als Verirrung oder Volkshinduismus abtaten. Erste Gesetze, die die Widmung von Devadasis verboten, wurden als "moralischer Sieg" gefeiert. Kulturelle Legitimität wurde der "klassischen Tradition" zuerkannt, schreibt Priyadarshini. Zum Ideal der Hindufrau wurde die keusche, reine Ehefrau und Mutter erhoben.

Doch "es ist simplistisch, gesellschaftlich und ideologisch verankerte Gebräuche als Verirrung abzutun", erklärt die Historikerin, die an der De- und Rekonstruktion der Wahrnehmung und der Identität dieser sakralen Prostituierten arbeitet. Die Jogatih Nursamma in Andhra Pradesh ist für sie Teil einer lebendigen Tradition. Kastenpraktiken blieben in Teilen von Andhra Pradesh lange unverändert, sagt Priyadarshini. Durch das Verbotsgesetz von 1988 habe die Praxis der Tempelweihe zwar an Akzeptanz verloren. Sie werde aber bestehen bleiben, solange nicht die Besitzstrukturen und -rechte zugunsten der Unberührbaren verändert würden und diese die Chance erhielten, ein Leben in Würde zu führen.
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