Ein Stückchen vom Kuchen für den Armen - Szenebericht aus dem EU-Lager
"Warum muß die Suppe öffentlich so vor aller Augen ausgeteilt werden, daß alle die Armen in der Schlange sehen können?" wundert sich der zur Gesandtschaft der Armen Frankreichs zählende Cèdric Doux.
"Die Regierung will uns demütigen. Dort ist dein Platz, da ja nirgendwo sonst. Es macht den Anschein, als würde Tischtennis gespielt, aber ich bin dieser Ball."
Im Egmont-Palast sind von überallher aus Europa Delegationen von Menschen eingetroffen, die am eigenen Leib Armut erfahren haben - zur achten jährlichen Konferenz der EU und des EAPN-Netzwerks, das sich die Prävention der Armut auf die Fahnen geschrieben hat. Die Botschaft aller Abgesandten ist die gleiche. Nichts ist nach der vorausgegangenen Zusammenkunft vorwärtsgekommen oder besser geworden. Die Verhältnisse haben sich verschlechtert.
Der Wortführer stellt den Versuch an, wenigstens einige Schritte einer Entwicklung nach vorne herauszupressen, vergebens.
Insbesondere Griechenland scheint, Europas Sorgenkind zu sein. Einziger Lichtblick sei es gewesen, daß "letztes Jahr eine öffentliche Diskussion zu einem Minimallohn gehalten wurde, der in Griechenland allein schon als Begriff unbekannt ist", sagt das Delegationsmitglied Elissavet Papagiannoglou.
Die die EU-Kommission vertretende Frau aus Griechenland ergreift das Wort, erzürnt über die von der griechischen Delegation vorgetragenen Beschwerden, und berichtet, daß in Spanien doch die Lage der Roma-Zigeuner verbessert worden wäre.
"In Griechenland leben wir aber immer noch in Zelten, ob ihr's glaubt oder nicht!" fährt Giannoula Magga, die Griechenlands Roma-Anteil an der Bevölkerung repräsentiert, verärgert dazwischen. In Griechenland leben auch die Albanier und Roma-Angehörigen aus der Ukraine in extremer Armut, ganz zu schweigen von den ohne Papiere ins Land Hinzugezogenen.
Magga läßt wissen, daß sie auf der Konferenz vom letzten Jahr den EU-Kommissar gebeten hatte, wenigstens doch irgendetwas für die Roma-Zigeuner zu tun. "Nichts ist geschehen."
Die Deutschen zeigen sich darüber erbost, daß einfachste Angelegenheiten, wie die Zurverfügungstellung von Wasser und Strom, in den Händen von privaten Unternehmen liegen. Ein allzu hoher Preis für lebensnotwendige Dinge triebe die Menschen in die Armut. Gleichzeitig hat der deutsche Staat die Wohnzuschüsse heruntergefahren.
"Wir sind gezwungen, unter schmutzigen und ungesicherten Verhältnissen zu leben," sagt Erika Biehn in sich ereiferndem Tonfall, eine Frau mit Stil mittleren Alters.
"Wegen der Privatisierung der Dienste an der Basis, ist es nun soweit gekommen, daß wir unsinnige Summen dafür aufzubringen haben", sekundiert ihr ein Landsmann, Jens Schröter, ein großgewachsener Mann mit einem Tuch auf dem Kopf, der zeitenweise obdachlos gewesen sei. "Wir werden wie Tiere behandelt."
Die Armen Italiens sprachen sich für diejenigen aus, die versuchen, ohne Papiere in Europa einzudringen. "Die Regierung von Berlusconi hat den Krieg gegen die Armen, aber nicht gegen die Armut erklärt." Es wird berichtet, daß es in Italien Konzentrationslager gäbe, wo die ins Land Kommenden hineingestopft würden. Schiffe würden auf dem Meer zur Umkehr gezwungen, woraufhin diese untergingen und die Menschen auf ihnen ertränken. Warum überwacht die EU nicht in geringster Weise, was in den Mitgliederländern so alles passiert, fragen sich da die Italiener.
Der EU-Kommissar für Beschäftigungs- und Sozialangelegenheiten, Wladimir Spidla aus der Tschechei, der sich die Wortmeldungen der Armen angehört hat, bringt keinen einzigen konkreten Satz aus sich heraus.
"Es wäre angenehm, wenn der Kommissar den Armen Europas selbst darüber Bericht erstatten könnte, warum nichts geschieht," fordert eine Frau aus Griechenland das Gremium im Europa-Saal heraus. "Wenn wir von hier ins unsere Heimatländer zurückkehren, kommen wir, ob wir es wollen oder nicht, mit Menschen zusammen, denen es noch viel dreckiger geht als uns selber. Warum müssen wir denen erzählen, daß keine Besserung zu erwarten ist?"
"Die die Armut erfassenden statistischen Erhebungen hinken um zwei Jahre hinterher," stammelt Spidla, sein Blick nervös seitwärts von einer Wand zur anderen schweifend. "Wäre schon prima gewesen, wenn diese jüngeren Datums wären, man ist aber einfach nicht dazu gekommen, die entsprechenden Erhebungen zu erstellen."
Irina Kolyandova aus Bulgarien ist eine Unterstufen-Lehrerin, arm wie eine Kirchenmaus. Sie umschreibt die heile Welt so: "Dort gäbe es keinen Platz für Politiker und für Politik, aber auch keinen für die Armut."
Wie nur schafft es eine Lehrerin wie Kalyandova, willfährige Kinder für eine Gesellschaft heranzuziehen, wenn diese selbst die Lehrer am Hungertuch nagen läßt? Sie erhielte wohl Ansehen und Würde für ihre Arbeit, aber keine in Geld bemessene Wertschätzung. "In Europa gibt es 14 Millionen Menschen, die arm sind, trotzdem sie einer Arbeit nachgehen," bemerkt deren Freund mit grabesernster Miene.
"Man müßte weiter blicken, und das Wertesystem in Ordnung bringen," meint Kolyandova und lächelt dabei verlegen. Sie hätte es sich nie leisten können, zum Zahnarzt zu gehen. Als Kalyandova daraufhin zu hören bekommt, daß es auch in Finnland nun so weit gekommen sei, daß für Minderbemittelte ein Zahnarztbesuch zu einer heiklen Sache werden kann, gibt sie ein paar Tipps zum Besten.
"Ich sammle schmerzlindernde Kräuter und vermeide es, Schokolade zu naschen, wenn ein Zahn richtig wehtut."
Die EU und der belgische Staat bieten für die Konferenz der Armen einen Rahmen ebenbürtig einem Treffen von Ministern auf. Die barocken Stühle des Palasts, die Köche in ihren weißen Schürzen, das höfliche, in schwarze Livrées gekleidete Bedienungspersonal, die vor Köstlichkeiten sich biegenden Gastmahlstische - einen Augenblick lang das Leben, so wie es das Establishment lebt.
"Falls ich morgen dort im gegenüberliegenden Park herumsitzen sollte, würde mich die Polizei von dort vertreiben," lacht eine Frau aus Belgien auf. Diese Menschen hier sind diesen einen Tag lang König oder Königin gewesen, für den Rest des Jahres aber Arme.
Das Thema des Jahres 2009 der EU steht unter dem Motto Kreativität und Innovation. Das nächste Jahr wird der Prävention von Armut und von Diskrimination gewidmet sein. Es drängt zu Eile.
"Die Regierung will uns demütigen. Dort ist dein Platz, da ja nirgendwo sonst. Es macht den Anschein, als würde Tischtennis gespielt, aber ich bin dieser Ball."
Im Egmont-Palast sind von überallher aus Europa Delegationen von Menschen eingetroffen, die am eigenen Leib Armut erfahren haben - zur achten jährlichen Konferenz der EU und des EAPN-Netzwerks, das sich die Prävention der Armut auf die Fahnen geschrieben hat. Die Botschaft aller Abgesandten ist die gleiche. Nichts ist nach der vorausgegangenen Zusammenkunft vorwärtsgekommen oder besser geworden. Die Verhältnisse haben sich verschlechtert.
Der Wortführer stellt den Versuch an, wenigstens einige Schritte einer Entwicklung nach vorne herauszupressen, vergebens.
Insbesondere Griechenland scheint, Europas Sorgenkind zu sein. Einziger Lichtblick sei es gewesen, daß "letztes Jahr eine öffentliche Diskussion zu einem Minimallohn gehalten wurde, der in Griechenland allein schon als Begriff unbekannt ist", sagt das Delegationsmitglied Elissavet Papagiannoglou.
Die die EU-Kommission vertretende Frau aus Griechenland ergreift das Wort, erzürnt über die von der griechischen Delegation vorgetragenen Beschwerden, und berichtet, daß in Spanien doch die Lage der Roma-Zigeuner verbessert worden wäre.
"In Griechenland leben wir aber immer noch in Zelten, ob ihr's glaubt oder nicht!" fährt Giannoula Magga, die Griechenlands Roma-Anteil an der Bevölkerung repräsentiert, verärgert dazwischen. In Griechenland leben auch die Albanier und Roma-Angehörigen aus der Ukraine in extremer Armut, ganz zu schweigen von den ohne Papiere ins Land Hinzugezogenen.
Magga läßt wissen, daß sie auf der Konferenz vom letzten Jahr den EU-Kommissar gebeten hatte, wenigstens doch irgendetwas für die Roma-Zigeuner zu tun. "Nichts ist geschehen."
Die Deutschen zeigen sich darüber erbost, daß einfachste Angelegenheiten, wie die Zurverfügungstellung von Wasser und Strom, in den Händen von privaten Unternehmen liegen. Ein allzu hoher Preis für lebensnotwendige Dinge triebe die Menschen in die Armut. Gleichzeitig hat der deutsche Staat die Wohnzuschüsse heruntergefahren.
"Wir sind gezwungen, unter schmutzigen und ungesicherten Verhältnissen zu leben," sagt Erika Biehn in sich ereiferndem Tonfall, eine Frau mit Stil mittleren Alters.
"Wegen der Privatisierung der Dienste an der Basis, ist es nun soweit gekommen, daß wir unsinnige Summen dafür aufzubringen haben", sekundiert ihr ein Landsmann, Jens Schröter, ein großgewachsener Mann mit einem Tuch auf dem Kopf, der zeitenweise obdachlos gewesen sei. "Wir werden wie Tiere behandelt."
Die Armen Italiens sprachen sich für diejenigen aus, die versuchen, ohne Papiere in Europa einzudringen. "Die Regierung von Berlusconi hat den Krieg gegen die Armen, aber nicht gegen die Armut erklärt." Es wird berichtet, daß es in Italien Konzentrationslager gäbe, wo die ins Land Kommenden hineingestopft würden. Schiffe würden auf dem Meer zur Umkehr gezwungen, woraufhin diese untergingen und die Menschen auf ihnen ertränken. Warum überwacht die EU nicht in geringster Weise, was in den Mitgliederländern so alles passiert, fragen sich da die Italiener.
Der EU-Kommissar für Beschäftigungs- und Sozialangelegenheiten, Wladimir Spidla aus der Tschechei, der sich die Wortmeldungen der Armen angehört hat, bringt keinen einzigen konkreten Satz aus sich heraus.
"Es wäre angenehm, wenn der Kommissar den Armen Europas selbst darüber Bericht erstatten könnte, warum nichts geschieht," fordert eine Frau aus Griechenland das Gremium im Europa-Saal heraus. "Wenn wir von hier ins unsere Heimatländer zurückkehren, kommen wir, ob wir es wollen oder nicht, mit Menschen zusammen, denen es noch viel dreckiger geht als uns selber. Warum müssen wir denen erzählen, daß keine Besserung zu erwarten ist?"
"Die die Armut erfassenden statistischen Erhebungen hinken um zwei Jahre hinterher," stammelt Spidla, sein Blick nervös seitwärts von einer Wand zur anderen schweifend. "Wäre schon prima gewesen, wenn diese jüngeren Datums wären, man ist aber einfach nicht dazu gekommen, die entsprechenden Erhebungen zu erstellen."
Irina Kolyandova aus Bulgarien ist eine Unterstufen-Lehrerin, arm wie eine Kirchenmaus. Sie umschreibt die heile Welt so: "Dort gäbe es keinen Platz für Politiker und für Politik, aber auch keinen für die Armut."
Wie nur schafft es eine Lehrerin wie Kalyandova, willfährige Kinder für eine Gesellschaft heranzuziehen, wenn diese selbst die Lehrer am Hungertuch nagen läßt? Sie erhielte wohl Ansehen und Würde für ihre Arbeit, aber keine in Geld bemessene Wertschätzung. "In Europa gibt es 14 Millionen Menschen, die arm sind, trotzdem sie einer Arbeit nachgehen," bemerkt deren Freund mit grabesernster Miene.
"Man müßte weiter blicken, und das Wertesystem in Ordnung bringen," meint Kolyandova und lächelt dabei verlegen. Sie hätte es sich nie leisten können, zum Zahnarzt zu gehen. Als Kalyandova daraufhin zu hören bekommt, daß es auch in Finnland nun so weit gekommen sei, daß für Minderbemittelte ein Zahnarztbesuch zu einer heiklen Sache werden kann, gibt sie ein paar Tipps zum Besten.
"Ich sammle schmerzlindernde Kräuter und vermeide es, Schokolade zu naschen, wenn ein Zahn richtig wehtut."
Die EU und der belgische Staat bieten für die Konferenz der Armen einen Rahmen ebenbürtig einem Treffen von Ministern auf. Die barocken Stühle des Palasts, die Köche in ihren weißen Schürzen, das höfliche, in schwarze Livrées gekleidete Bedienungspersonal, die vor Köstlichkeiten sich biegenden Gastmahlstische - einen Augenblick lang das Leben, so wie es das Establishment lebt.
"Falls ich morgen dort im gegenüberliegenden Park herumsitzen sollte, würde mich die Polizei von dort vertreiben," lacht eine Frau aus Belgien auf. Diese Menschen hier sind diesen einen Tag lang König oder Königin gewesen, für den Rest des Jahres aber Arme.
Das Thema des Jahres 2009 der EU steht unter dem Motto Kreativität und Innovation. Das nächste Jahr wird der Prävention von Armut und von Diskrimination gewidmet sein. Es drängt zu Eile.
libidopter - 5. Jun, 16:24