Es gibt kein größeres kulturelles Gut, als der trägen, dekonstruktiv wirkenden tückischen Zeit, in der man lebt, mit edlen Pioniertaten die Stirn zu bieten
Posse eines Abends im Sommer
Schau, Liebstes, wie fahl
der Flügelschlag des mit den Wolken fliegenden Vogels ist.
Mit demselben hat sich der Abend bereits mit katzengleichem Schritt ins
Gebüsch verzogen.
Er hält sich versteckt, einen Schalk ausheckend,
und spitzt zu uns herüber.
Ein Verzauberer ist er. Aber auch ich gehöre den Verzauberern an.
Von den Ästen eines Baums, schau nur her, entwendete ich
eine Handvoll Wind
und von deiner Wange das Abendrot
und vom Munde weg Schmetterlinge.
Und trotzdem spielte der Abend uns einen Streich, gewann er das Spiel:
still und heimlich führte er dich und mich von uns selbst hinweg.
(ein Gedicht von Uuno Kailas [1901 - 1933], eines Dichters der
Feuerträger-Ära Finnlands zu Beginn des letzten Jahrhunderts, in erstmaliger
Übersetzung von mir ins Deutsche)
Kurze Vorgeschichte zu einem Epilog:
Der Leiter des Theaters der nordfinnischen Stadt Oulu (Oulu hatte sich
vor einigen Jahren allen Ernstes um den Rang der Kulturhauptstadt
Europas beworben), Jussi Helminen, fordert im Januar 1987 vier
Theaterstudenten aus Helsinki an, um beim Profi-Treffen während der Theatertage von
Oulu "etwas herbes" aufgeführt zu bekommen.
Aus einem Performance-Stück des Gottes Theater wird denn auch ein die Nation
erschütternder Kulturskandal. Der dafür verantwortlich zeichnende Jari
Halonen und Kumpane werden in den Bau auf Urlaub geschickt.
Der Film von ebenjenem Halonen über das Leben des berühmtesten
finnischen Nationalschriftstellers des vorletzten Jahrhunderts Aleksis Kivi
("Die sieben Brüder") hat im Januar 2002 seine ganz Finnland einnehmende
Erstaufführung. Im Februar 2002 vermarktet die Filmstiftung Finnlands
den Film von Halonen auf dem Filmfestival von Berlin.
Zitat aus einem Artikel des besagten Jari Halonen aus dem Jahre 2002
zur gesellschaftlichen Funktion von Kunst und zu deren effektiver
Stellung in der Gesellschaft von Heute:
'"Kunst ist eine gesellschaftliche Funktion, sie vermittelt der
Gesellschaft und den politischen Entscheidungsträgern die menschlichen Werte.
Jedoch war die Kunst während der 1990er völlig ins Abseits geraten, und
Beschlüsse sind gefasst worden, die lediglich auf den harten Werten der
Wirtschaft fundieren. Wenn eine Gesellschaft gesund ist, sind die
Beschlüsse auf menschlichen Werten gegründet."
Laut Halonen setzte der Verfall der Kunst in Finnland bereits zu Ende
der 1980er ein.
"Im Januar 1987 war das finnische Theater das letzte Mal in einer
zentralen Position innerhalb der Gesellschaft gewesen. Ich bin stolz darauf,
daß wir die Situation realisiert hatten, das Gottes Theater war
doch nichts anderes als ein Schrei um Hilfe in der Not. Jetzt erst habe
ich begriffen, daß es eine Tat von der Größenordnung eines Aleksis Kivi
war, und daß ich ein Künstler der Schule von Aleksis Kivi bin."
Kivi hatte als finnisch schreibender Schriftsteller der Belletristik
sich gegen die auf Schwedisch publizierende kulturelle Elite des damals
noch unter der Fuchtel Schwedens gestandenen Landes als erster
durchgesetzt, und damit eine Pioniertat geleistet.
libidopter - 6. Jun, 09:34