Die Gaffer an den Frühstückstischen
Die erinnerten Bilder eines Krieges oder eines sonstigen unmenschlichen Schreckensszenarios sind die Fotos davon, an die man sich erinnert. Die von Soldaten hochgezogene Flagge in Iwo Jima, die zu Skeletten verdorrten Menschengestalten in Bergen-Belsen, die ihre Haut eingebüßten Frauen und Kinder in Hiroshima - und die jüngsten Schrecken in Sarajewo, in Tschetschenien, in Abu Ghraib. Die Liste ließe sich hoffnungslos lange weiterführen. Aber mit welcher Berechtigung?
Die von den Zeitungen und dem Fernsehen vermittelten Schreckensbilder in den Wohnzimmern und an den Frühstückstischen sind eine Erscheinung der Moderne. Der Journalismus hat die ärgsten Leiden der anderen zum Alltäglichen gemacht. Es kann einen nachsinnlich stimmen, wie die Bebilderung der Abscheulichkeiten auf uns einwirkt - härmt sie uns gegen Gewalt ab oder stachelt sie uns sogar dazu an? Verfälscht sich durch sie unser Bild von der Wirklichkeit?
Das Betrachten extremster Leidensfälle ist nur für jene von direktem Nutzen, die versuchen, behilflich zu sein - zum Beispiel für Chirurgen in Feldlazaretten. Alle anderen sind Gaffer. Die Erfassung menschlich unfaßbarer Greuel ist nichtsdestotrotz vonnöten.
Die amerikanische Intellektuelle, Literaturkritikerin und Essayistin Susan Sontag meint dazu folgendes: "Lasset diese gräßlichen Bilder wüten! Wenngleich sie nur Symbole sind und man in keinem Fall den größeren Teil der Wirklichkeit zu begreifen vermag, worauf diese hinweisen, so haben sie doch eine lebenswichtige Aufgabe. Die Bilder sagen: Sehet her, so etwas kann ein Mensch fertigbringen - und noch dazu aus freien Stücken, mit begeisterungsvoller Selbstgerechtigkeit. Möget ihr das nicht vergessen."
Sinn und Zweck von Kriegsbildern ist es seit Francisco Goyas Radierung eines Erhängten von vor zweihundert Jahren gewesen, die Gemüter in Wallung zu bringen, zu schockieren.
Das Foto hat seit seiner Erfindung im Jahre 1839 mit dem Tod seinen Umgang gepflegt. Das Photographieren von Kriegsszenen setzte sich zwar dann erst allgemein durch, als die Kamera vom Stativ loskam - im US-amerikanischen Bürgerkrieg, im Krimkrieg, im ersten Weltkrieg, im spanischen Bürgerkrieg, im zweiten Weltkrieg.
Anders als man jedoch vermuten könnte, ist die Manipulierung von Kriegslichtbildern eine entschwundene Kunstfertigkeit. Doch bis vor dem Vietnamkrieg waren nahezu alle berühmt gewordenen Kriegsaufnahmen gestellte Fotos gewesen. Im Krieg um Vietnam erringte das Fernsehen mit seinen bewegten Bildern den Sieg über das photographische Bild, und seither hatten die Kriegsfotografen nicht mehr die Mittel für Inszenierungen aufbringen können.
Aber auch die ungestellten Fotos können in die Irre führen. Die trostlosen Leichenhaufen und zu Skeletten abgemagerten Überlebenden prägen das Bild von den Konzentrationslagern. Dies war die Situation gewesen, als die Truppen der Alliierten in die Lager hineinstießen. In Wirklichkeit wurden die Menschen in den Lagern nicht wegen Hungers und Krankheiten hinweggerafft, sondern sie kamen durchs Gas um.
Mit den Kriegsbildern kommt immer auch eine Zensur mit ins Spiel. Wir erinnern uns zum Beispiel nicht - und wissen deshalb eigentlich kaum etwas davon - an den Krieg Großbritanniens auf Falkland, weil auf den Kriegszug dorthin außer zwei Fotografen niemand mitgelassen wurde, keine einzige Fernsehkamera. Desgleichen mit Hilfe von strenger Zensur gelang es den Vereinigten Staaten, das Bild im Krieg am Persischen Golf als eine Art Computerspiel zu vermitteln - bis die Zeitungen damit begannen, Bilder zu veröffentlichen von einer aus Kuwait geflohenen irakischen Kolonne, die mittels eines Teppichs aus Napalmbomben, mittels Streubomben und mit mit abfallwertigem Uran geladenen Granaten auf der Landstraße niedergestreckt wurden.
Die wichtigste Form der Zensur ist letzten Endes jedoch die Selbstzensur, die Einschätzung des "guten Geschmacks" durch die Fernsehproduzenten und die Nachrichtenchefs der Blätter selbst.
Grauenvolle Szenen darstellende Bilder verbreiten sich heute durch die Vermittlung von digitalen Kameras und dem Internet auf eine neue, zuvor ungeahnte Weise. Verhalten wir uns bei einem als Datei-Anhang einer E-Mail verschickten Kriegsfoto anders als bei einer Fernsehnachrichtensendung?
In den Bildern zu einem Krieg hält sich die gleiche ideologische Lüge, und Manipulation, versteckt, die die Medien und die internationale Politik beherrscht. Die Opfer besitzen keinen gleichrangigen Wert, und der Tod wird nicht ausbalanciert porträtiert. In den Vereinigten Staaten erinnert man sich nach wie vor auf zahlreiche Art und Weise der Opfer des Holokausts. Andererseits haben die Ereignisse auf dem Kontinent der Vereinigten Staaten - die Vernichtung der Indianer und die Versklavung der Schwarzen - nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten.
Desungeachtet besteht Grund, daran zu glauben, daß ein jedes Bild zu einem Krieg eine Stellungnahme gegen den Krieg darstellt. War is hell.
Die von den Zeitungen und dem Fernsehen vermittelten Schreckensbilder in den Wohnzimmern und an den Frühstückstischen sind eine Erscheinung der Moderne. Der Journalismus hat die ärgsten Leiden der anderen zum Alltäglichen gemacht. Es kann einen nachsinnlich stimmen, wie die Bebilderung der Abscheulichkeiten auf uns einwirkt - härmt sie uns gegen Gewalt ab oder stachelt sie uns sogar dazu an? Verfälscht sich durch sie unser Bild von der Wirklichkeit?
Das Betrachten extremster Leidensfälle ist nur für jene von direktem Nutzen, die versuchen, behilflich zu sein - zum Beispiel für Chirurgen in Feldlazaretten. Alle anderen sind Gaffer. Die Erfassung menschlich unfaßbarer Greuel ist nichtsdestotrotz vonnöten.
Die amerikanische Intellektuelle, Literaturkritikerin und Essayistin Susan Sontag meint dazu folgendes: "Lasset diese gräßlichen Bilder wüten! Wenngleich sie nur Symbole sind und man in keinem Fall den größeren Teil der Wirklichkeit zu begreifen vermag, worauf diese hinweisen, so haben sie doch eine lebenswichtige Aufgabe. Die Bilder sagen: Sehet her, so etwas kann ein Mensch fertigbringen - und noch dazu aus freien Stücken, mit begeisterungsvoller Selbstgerechtigkeit. Möget ihr das nicht vergessen."
Sinn und Zweck von Kriegsbildern ist es seit Francisco Goyas Radierung eines Erhängten von vor zweihundert Jahren gewesen, die Gemüter in Wallung zu bringen, zu schockieren.
Das Foto hat seit seiner Erfindung im Jahre 1839 mit dem Tod seinen Umgang gepflegt. Das Photographieren von Kriegsszenen setzte sich zwar dann erst allgemein durch, als die Kamera vom Stativ loskam - im US-amerikanischen Bürgerkrieg, im Krimkrieg, im ersten Weltkrieg, im spanischen Bürgerkrieg, im zweiten Weltkrieg.
Anders als man jedoch vermuten könnte, ist die Manipulierung von Kriegslichtbildern eine entschwundene Kunstfertigkeit. Doch bis vor dem Vietnamkrieg waren nahezu alle berühmt gewordenen Kriegsaufnahmen gestellte Fotos gewesen. Im Krieg um Vietnam erringte das Fernsehen mit seinen bewegten Bildern den Sieg über das photographische Bild, und seither hatten die Kriegsfotografen nicht mehr die Mittel für Inszenierungen aufbringen können.
Aber auch die ungestellten Fotos können in die Irre führen. Die trostlosen Leichenhaufen und zu Skeletten abgemagerten Überlebenden prägen das Bild von den Konzentrationslagern. Dies war die Situation gewesen, als die Truppen der Alliierten in die Lager hineinstießen. In Wirklichkeit wurden die Menschen in den Lagern nicht wegen Hungers und Krankheiten hinweggerafft, sondern sie kamen durchs Gas um.
Mit den Kriegsbildern kommt immer auch eine Zensur mit ins Spiel. Wir erinnern uns zum Beispiel nicht - und wissen deshalb eigentlich kaum etwas davon - an den Krieg Großbritanniens auf Falkland, weil auf den Kriegszug dorthin außer zwei Fotografen niemand mitgelassen wurde, keine einzige Fernsehkamera. Desgleichen mit Hilfe von strenger Zensur gelang es den Vereinigten Staaten, das Bild im Krieg am Persischen Golf als eine Art Computerspiel zu vermitteln - bis die Zeitungen damit begannen, Bilder zu veröffentlichen von einer aus Kuwait geflohenen irakischen Kolonne, die mittels eines Teppichs aus Napalmbomben, mittels Streubomben und mit mit abfallwertigem Uran geladenen Granaten auf der Landstraße niedergestreckt wurden.
Die wichtigste Form der Zensur ist letzten Endes jedoch die Selbstzensur, die Einschätzung des "guten Geschmacks" durch die Fernsehproduzenten und die Nachrichtenchefs der Blätter selbst.
Grauenvolle Szenen darstellende Bilder verbreiten sich heute durch die Vermittlung von digitalen Kameras und dem Internet auf eine neue, zuvor ungeahnte Weise. Verhalten wir uns bei einem als Datei-Anhang einer E-Mail verschickten Kriegsfoto anders als bei einer Fernsehnachrichtensendung?
In den Bildern zu einem Krieg hält sich die gleiche ideologische Lüge, und Manipulation, versteckt, die die Medien und die internationale Politik beherrscht. Die Opfer besitzen keinen gleichrangigen Wert, und der Tod wird nicht ausbalanciert porträtiert. In den Vereinigten Staaten erinnert man sich nach wie vor auf zahlreiche Art und Weise der Opfer des Holokausts. Andererseits haben die Ereignisse auf dem Kontinent der Vereinigten Staaten - die Vernichtung der Indianer und die Versklavung der Schwarzen - nicht die gleiche Aufmerksamkeit erhalten.
Desungeachtet besteht Grund, daran zu glauben, daß ein jedes Bild zu einem Krieg eine Stellungnahme gegen den Krieg darstellt. War is hell.
libidopter - 26. Jun, 13:50