14
Aug
2009

Tempelweihe und Prostitution — im Spiegelbild von heute im Land der Götter & Göttinnen

Schon die britischen Kolonialherren waren - allerdings mit mangelndem Sachverständnis - gegen die Weihe junger Inderinnen zum Tempeldienst angegangen. Während rituelle Aufgaben den Tempeldienerinnen früher ein Mass an Achtung und Würde verschafften, sind sie heute weitgehend auf Prostitution und Betteln angewiesen.

"Meine Tochter macht mir heute Vorwürfe: 'Warum hast du mich Ellamma geweiht?' Ich fühle mich dann sehr schlecht. Aber damals war das normal... Heute sagen die Leute: Es ist verboten, ein Mädchen der Göttin zu weihen; du könntest verhaftet werden." - Zögernd erzählt Balasundari, eine ältere Frau aus einem Dorf im südindischen Staat Andhra Pradesh, warum sie ihre Erstgeborene der Göttin weihte. Sie hatte gehofft, Ellamma werde ihr dann Söhne schenken. Zumindest werde die Geweihte - anders als eine verheiratete Tochter, die Teil der Familie ihres Mannes wird - sie im Alter versorgen.

Balasundaris Entscheidung ist nicht ungewöhnlich. Um Ellamma gnädig zu stimmen, weihen Eltern in den Dörfern von Andhra Pradesh bis heute ihre Töchter zu Tempeldienerinnen, wenn sie sich Söhne wünschen oder Probleme in der Familie auftreten. Diese "Dienerinnen der Göttin" waren einst geachtet, betont Nursamma, eine ältere Jogathi aus dem gleichen Dorf. Heute dagegen arbeiteten die meisten "als gewöhnliche Prostituierte". Gemäß Expertinnen dürfte dies tatsächlich zutreffen. Eine Jogathi darf nicht heiraten und muß jedem Mann, der mit ihr schlafen möchte, in welchem sie einen Stellvertreter des Gottes sieht, mit dem sie verehelicht ist, zur Verfügung stehen. 40 000 Jogati soll es derzeit in Andhra Pradesh geben, obwohl die Praxis seit 1988 gesetzlich verboten ist.

Dem System beizukommen, erfordert Mühe, weiß Nirmala, die eine entsprechende Nichtregierungsorganisation leitet. "Laß die Hände von unserer Kultur! Das ist unsere Religion." Zumal von Männern aus höheren Kasten wird Nirmala oft mit aggressiven Worten empfangen. Doch auch die Jogathi verteidigen häufig das System.

Es braucht Zeit, bis die Menschen Nirmala zuhören. Mit ihren Fragen versucht sie dann, die Jogati wenigstens zu einem kritischen Blick auf ihre "Tradition" zu bewegen. Warum drängen die oberen Kasten auf die Weihe neuer Jogathi? Warum kommen die meisten Jogathi aus Familien von Dalits (gebrochenen Menschen), wie sich Unberührbare heute nennen, jene Menschen also, die unter- und außerhalb des Kastensystems stehen? Offiziell wurde die Unberührbarkeit mit der indischen Bundesverfassung von 1950 abgeschafft, sie wird aber in vielen Formen weiter praktiziert. Für Nirmala, die selbst Dalit ist, steht fest: Das Jogathi-System, dessen Name regional variiert, ist eine institutionalisierte Demütigung von Dalitfrauen.

Aktivistinnen wie Nirmala geht es um Menschenwürde und -rechte der Jogathi. Parallel dazu gilt es nach Ansicht der am angesehenen Forschungsinstitut "Centre for the Study of Developing Societies" in Delhi tätigen Historikerin V. Priyadarshini, "die Unberührbare als Person zu rehabilitieren und ihrer kulturellen Verstümmelung entgegenzutreten". Man dürfe sie nicht nur als Opfer sehen oder gar als "Agentin der Unmoral". "Die Jogati muß in den Diskurs über Staat, Gesellschaft und Kultur integriert werden", sagt Priyadarshini.

In ihrem Buch "Recasting the Devadasi: Patterns of Sacred Prostitution in Colonial India" hat Priyadarshini die teilweise bis heute lebendige Tradition an der "Schnittstelle zwischen den Kulturen der Kastenhindus und jener der Unberührbaren" rekonstruiert. Zugleich hat sie die in der Kolonialzeit entstandenen Bewegungen zum Verbot des Systems evaluiert, in deren Zuge die Begriffe Devadasi (Tempeldienerin) und Nautch-Girls (tanzende Mädchen) zu zentralen Begriffen erhoben und damit die vielfältigen Identitäten dieser Frauen verschleiert wurden.

"Tempeldienerinnen" lassen sich laut Priyadarshini in mehrere Gruppen einteilen, insbesondere die Sumangali aus den niedrigen Kasten sowie die Jogathi und die Matangi, die in der Regel Unberührbare waren. Die Sumangali gehörten den grossen Tempelanlagen fruchtbarer Regionen an, wo sie als Sängerinnen und Tänzerinnen bei grossen Festen auftraten. Als hochgebildete Frauen wurden sie auch an Fürstenhöfe gerufen. Die Jogathi dienten als Ritualexpertinnen im ländlichen Raum. Ihre Gegenwart bei vielen Familien- und Dorffesten war erforderlich, um die Fruchtbarkeit von Mensch und Tier, eine gute Ernte sowie das Wohl der Gemeinde zu sichern.

Sowohl für die Jogathi als auch für die Matangi, die Dienerinnen der unberührbaren Göttin Matangi (in Form von Ellamma u.v.a.), lassen sich Rituale belegen, bei denen die strikten Reinheitsregeln des Kastensystems durchbrochen wurden. Körperkontakt, physische Nähe sowie das Teilen von Wasser und Nahrung mit Unberührbaren galten traditionell als Ursache ritueller Verschmutzung von Kastenhindus. Bei Hauseinweihungen aber, bei denen die Jogati "alles Unheil absorbieren" sollte, warfen sich hochkastige Frauen der Jogathi zu Füßen und boten ihr in dem den Göttern geweihten Raum des Hauses Speisen dar.

Die Matangi ihrerseits galt bei manchen Ritualen als von der Gottheit besessen. In wilder Trance bespuckte sie dann hohe Kastenhindus, die das hinnahmen, obwohl sie, wie Priyadarshini schreibt, "unter normalen Umständen den Tod einer solchen Verschmutzung vorziehen würden".

Derartige Rituale geben nach Ansicht der Historikerin Aufschluss über die Konstruktion von göttlich-weiblicher Energie (Shakti) und ihre Verankerung in der Gesellschaft. In ihrer Rolle als "Tempeldienerinnen" galten unberührbare Frauen als aktives weibliches Prinzip im sakralen Raum-Zeit-Gefüge. Ihre Shakti wurde auch in der sexuellen Vereinigung genutzt. So läßt sich der Glaube belegen, "daß ein Mann aus hoher Kaste durch die Begegnung mit einer sakralen Prostituierten mit göttlicher Energie aufgeladen würde; die Hindufrau erlangt dagegen ihre Shakti durch Keuschheit und Hingabe an ihre Familie".

Während die Unberührbare als Ritualexpertin somit maßgeblich für das Wohl der Kastengesellschaft zuständig war (durch ihr Fernhalten z.B. von Cholera und anderen Epidemien), wurde sie außerhalb ihrer rituellen Aufgaben auf die dem Kastensystem entsprechende Distanz gehalten. So erhielt die Jogathi bei ihrer Weihe eine Bettelschale, denn es gehörte zu ihren 'Rechten', um Nahrung zu betteln. Dies entsprach dem 'Recht' vieler Unberührbarer, als Entlohnung für ihre Dienste im Dorf Essen zu erbetteln.

Das Devadasi-System lässt sich nur vor dem Hintergrund eines hierarchischen religiösen Systems sowie feudal-patriarchaler Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen verstehen, betont Priyadarshini. Sie studiert nun die aktuellen Formen des Systems, dessen kulturell-religiöse Komplexität Missionaren und britischen Kolonialisten im 19. Jahrhundert unzugänglich geblieben sei. Sie deuteten die 'Tempelprostitution' als Zeichen der "sexuellen Pathologie" der Inder. Auf diese Vorwürfe reagierten westlich gebildete Kastenhindus mit Reformkampagnen, die bald viele lokale Traditionen als Verirrung oder Volkshinduismus abtaten. Erste Gesetze, die die Widmung von Devadasis verboten, wurden als "moralischer Sieg" gefeiert. Kulturelle Legitimität wurde der "klassischen Tradition" zuerkannt, schreibt Priyadarshini. Zum Ideal der Hindufrau wurde die keusche, reine Ehefrau und Mutter erhoben.

Doch "es ist simplistisch, gesellschaftlich und ideologisch verankerte Gebräuche als Verirrung abzutun", erklärt die Historikerin, die an der De- und Rekonstruktion der Wahrnehmung und der Identität dieser sakralen Prostituierten arbeitet. Die Jogatih Nursamma in Andhra Pradesh ist für sie Teil einer lebendigen Tradition. Kastenpraktiken blieben in Teilen von Andhra Pradesh lange unverändert, sagt Priyadarshini. Durch das Verbotsgesetz von 1988 habe die Praxis der Tempelweihe zwar an Akzeptanz verloren. Sie werde aber bestehen bleiben, solange nicht die Besitzstrukturen und -rechte zugunsten der Unberührbaren verändert würden und diese die Chance erhielten, ein Leben in Würde zu führen.
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